News
Racial Profiling in der Schweiz:
Einladung zum Dialog
Vor gut eineinhalb Jahren, am 15. Juni 2020, widmete sich das erste Podium der Schauspielhaus-Reihe "Exit Racism" der Praxis des Racial Profiling. Die Kuratorinnen des Formats, Schauspielerin Thelma Buabeng und Dramaturgin Laura Paetau, fokussierten damit auf ein Thema, das in der Schweiz immer noch zu wenig Öffentlichkeit hat. Nämlich zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch bei der Schweizer und nicht nur in der amerikanischen, der deutschen oder französischen Polizei, eine strukturell rassistische Praxis gibt, die Nicht-Weisse oder Menschen mit spezifischer religiöser Kleidung in den Blick der Observation und Kontrolle nimmt - zunächst einmal aus keinem anderen Grund, als aus diesem: weil sie nicht weiss sind und deshalb verdächtig erscheinen.
Neben Brandy Butler und Jovita dos Santos Pintos war auch Mohamed Wa Baile auf dem Podium zu Gast. Er berichtete von seinem jahrelangen Kämpfen um Wiedergutmachung, nachdem er im Februar 2015 Opfer eines rassistischen Profilings durch zwei Polizisten am Hauptbahnhof Zürich geworden war. Die Polizisten hatten ihn als einzigen aus einer Menschenmenge von Pendler*innen ausgewählt, um seine Personalien zu erfassen: Wa Baile fragte die Polizisten, ob denn ein schwarzer Mensch gesucht würde, aber die Polizisten verneinen. Daraufhin weigerte Wa Baile sich, seinen Namen zu nennen und sich auszuweisen. Mit der formalen Konsequenz, dass er wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen angeklagt und schuldig gesprochen wurde.
Und dagegen wehrt sich Mohamed Wa Baile - bis heute. Sein Fall, den er bis nach Strassburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zog, wurde dort Anfang 2022 zum sogenannten ‘Impact’-Fall erklärt. Als solche werden nur sehr wenige Fälle deklariert, die für den betreffenden Staat bzw. das EGMR-System insgesamt von Bedeutung sind. Das Urteil wird voraussichtlich 2023 vorliegen. Bereits im Oktober 2021 entschied das Zürcher Verwaltungsgericht, dass für die polizeiliche Personenkontrolle nicht genügend objektive Anhaltspunkte vorlagen und sie somit rechtswidrig war. Offen liessen die Richter*innen allerdings, ob es sich dabei auch um eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe handelte. Diesbezüglich ist Wa Baile zusammen mit der Allianz gegen Racial Profiling weiter vor das Bundesgericht gezogen.
Mohamed Wa Bailes Fall ist kein Einzelfall in der Schweiz. Zahlreiche Initiativen wie "humanrights.ch" oder die "Allianz gegen Racial Profiling" bestätigen das.
Kay Kysela ist Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich. Auch er wurde Opfer von Racial Profiling. Ende September vergangenen Jahres wurde er auf dem Fahrrad gestoppt, zunächst ohne Angabe von Gründen.
Erst als er immer wieder nach jenen fragt und sich gegen die für ihn kontextlosen Verdächtigungen und Einschüchterungsversuche zur Wehr setzt, äussert sich der Polizist: Kay sei freihändig Fahrrad gefahren. Kay widerspricht, die Gesprächsatmosphäre heizt sich auf. Er will sich von dieser Situation distanzieren und teilt mit, dass er sich an einem belebteren Ort – und nicht alleine - mit dem Polizisten weiter unterhalten möchte. Er entfernt sich. Eine Anzeige wegen Hinderung einer Amtshandlung wird die Folge sein - und auch hier ein Schuldspruch: Kay Kysela wird zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse von mehreren Hundert Franken verurteilt; letztere wird bei schuldhaftem Nicht-Bezahlen ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen bestraft. Hinzu kommen die Verfahrenskosten in empfindlicher Höhe.
Uns ist bewusst: Wir kennen nur Mohamed Wa Bailes und Kay Kyselas Versionen der Geschichten. Notwendigerweise sind sie subjektiv. Auf der Hand aber liegt auch: die Versionen der Geschichten, die die beteiligten Polizist*innen jeweils zu Protokoll gegeben haben, sind ebenfalls nicht objektiv. Aber noch nie wurde ein*e Polizist*in in einer solchen Konstellation strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
In den Versionen der Geschichte, die Mohamed, Kay und viele andere erzählen, werden Muster offenkundig. Sich verselbstständigende Praxen zeigen sich, die Diskriminierungen, Missbrauch und Willkür begünstigen. Struktureller Rassismus, um es auf den Begriff zu bringen, ist der Wirkmechanismus, der sich herausschält. Und der sitzt tiefer, als das individuelle Verhalten einzelner Menschen.
Hier muss die Polizei, hier müssen alle Institutionen in der Schweiz - auch wir - hinschauen. Wir müssen lernen, institutionalisierten strukturellen Rassismus zu erkennen und bereit sein, Strukturen zu verändern.
Um dranzubleiben und wichtigen Akteur*innen auf diesem Feld ein Forum zu bieten, laden wir am 6. April um 20 Uhr in der Schiffbau-Box erneut zu einem Podium zu Racial Profiling ein. Es diskutieren Fatima Moumouni und Laurin Buser, Spoken Word-Poet*innen und Autor*innen des Stücks Bullestress, das im Januar bei uns uraufgeführt wurde; Tarek Naguib; Jurist mit Schwerpunkt Antidiskriminierungsrecht, Hannan Salamat, Fachleiterin Islam beim Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog, sowie Fabian Molina, SP-Nationalrat. Die Moderation übernimmt Brigitte Hürlimann, Gerichtsreporterin der Republik.
Wir haben auch Vertreter*innen der Stadtpolizei Zürich, namentlich auch die Vorsteherin des Sicherheitsdepartementes, Stadträtin Karin Rykart, sowie den Kommandanten der Stadtpolizei, zur Teilnahme am Podium eingeladen. Leider erhielten wir eine Absage mit der Begründung, dass Racial Profiling bei der Stadtpolizei tatsächlich ein wichtiges Thema sei und dass in den letzten Jahren viel unternommen wurde, um rassistisch motivierte Personenkontrollen zu minimieren; dass die Diskussionen aber zunächst intern und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden müssten – immer konkret und auf Einzelfälle bezogen. Wir bedauern diesen Bescheid umso mehr, als das Podium der Stadtpolizei Zürich eine ideale Plattform geboten hätte, einer interessierten Öffentlichkeit näherzubringen, welche Überlegungen gemacht und welche konkreten Schritte gegen Racial Profiling bisher in die Wege geleitet wurden. Eine verpasste Chance, wie wir finden. Auch unser Vorschlag, eine Spezialist*in aus dem Ausbildungsbereich zu delegieren, fand kein Gehör. Eine Absage erhielten wir auch von der Zürcher Polizeischule. Noch einmal: dem Schauspielhaus geht es nicht um die Fokussierung auf Einzelfälle – sondern um eine systemische Betrachtung des Problems Racial Profiling, bei dem unterschiedliche Perspektiven zur Sprache kommen sollen. Und alle sind dazu eingeladen: diejenigen, die Austausch suchen, weil auch ihnen vergleichbares widerfahren ist. Und die, die dazulernen wollen, weil sie vielleicht selbst Institutionen leiten.
Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann,
Co-Intendanten Schauspielhaus Zürich