Anpan, Natto und
Riz Casimir
erschienen am 04. Mai 2020
Sachiko, du sitzt in deiner Küche und hinter dir sehe ich einen Kühlschrank. Magst du uns mal zeigen, was da so drin ist?
Sachiko: Sehr gerne. (räumt den Kühlschrank aus und stellt die Produkte auf den Küchentisch). Ich kam erst mit 35 Jahren nach Deutschland. Vielleicht koche ich deshalb immer noch jeden Tag japanisch und versuche, wann immer möglich Lebensmittel aus Japan zu kriegen. Normalerweise kaufe ich immer im YumiHana in der Nähe vom Hauptbahnhof ein. In Adliswil gibt es sogar eine japanische Bäckerei. Dort gibt es zum Beispiel auch Kuchen. Viele Japaner*innen essen heute Brot zum Frühstück, wie in Europa. Aber bei vielen älteren Leuten gibt es natürlich immer noch Reis, Misosuppe, etwas Fisch und Gemüse.
Natascha: Sehr gesund!
Sachiko: Ja, japanisches Frühstück ist gesünder, aber das Europäische ist weniger aufwändig. Ich esse auch Brot zum Frühstück, japanisches Brot (Zeigt verschiedene Brote und Brötchen) Das hier ist ein Currybrötchen, das isst man als Snack. Und das hier ist Anpan, japanisches Weissbrot, gefüllt mit Adzuki-Bohnenpaste. Das sind so rote kleine Bohnen... Und das hier ist Natto, fermentierte Sojabohnen. Man kann sie mit Sojasauce vermischen und mit Reis essen. Japaner*innen müssen das im Kühlschrank haben! Es ist sehr gesund, Superfood! Aber viele Ausländer*innen mögen es nicht. Es sieht eher gruselig aus und riecht sehr speziell (macht eine Packung auf). Wie ein ganz starker Käse.
Natascha: Gibt es Natto denn auch hier in japanischen Restaurants?
Sachiko: Ich weiss es nicht. Für uns ist es ein Alltagsessen, dafür muss man eigentlich nicht ins Restaurant gehen. Aber die japanischen Restaurants hier sind sehr gut. Ich war zum Beispiel schon ein paar Mal im Ooki. Jetzt ist halt leider alles zu.
Natascha: Ich liebe diesen japanischen Yuzu-Saft. Den hätte ich gerne mal frisch. Hier gibt es immer nur das Konzentrat.
Sachiko: Ah, wenn ich das gewusst hätte! Im Garten meines Elternhauses steht ein Yuzu-Baum und meine Mutter hat in ihrem letzten Paket im Februar ein paar Yuzu versteckt. Im Moment kann ich leider nicht nach Japan fliegen, im Sommer wahrscheinlich auch nicht. Das macht mich ein bisschen traurig. Deshalb habe ich viel eingekauft gestern. Hier habe ich noch Currypaste. Es gibt ja verschiedene Currys: Indisch, Thai... Das hier ist japanisches Curry. Man kocht es mit Fleisch und Gemüse.
Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Thai Curry und japanischem Curry?
Sachiko: Das japanische Curry ist nicht so scharf wie Thai. Kinder mögen es sehr gerne. Jede Familie hat ihr eigenes ‘Mama-Curry’. Meine Mama hat früher viel selbst gemacht. Sie war die «Bio-Mama», weil mein Bruder Allergien hatte, als er ein Kind war. Wir hatten auch nicht weissen Reis, sondern braunen. Das habe ich früher immer gehasst, obwohl brauner Reis eigentlich viel gesünder ist.
Alle Japaner*innen haben einen Reiskocher, richtig?
Sachiko: Ja, schau hier, mein Reiskocher. Es ist aber ein koreanischer, der war günstiger.
Natascha: Der sieht aber hightech aus...
Sachiko: Super-hightech! Er spricht koreanisch und ist sogar Teil meiner Performance-Reihe Hiroshima Monster Girl in der Pfauen-Kammer. Es dauert eine halbe Stunde, bis der Reis fertig gekocht ist. Genauso lange dauert die Performance. Wenn der Reiskocher auf koreanisch sagt, dass es fertig ist, behaupte ich immer, er spreche japanisch. (Kichert)
Natascha, du bist nicht bei dir Zuhause, sondern in der geschlossenen Schiffbau-Kantine. Was machst du heute hier?
Natascha: Ich mache heute mit Nermin, meinem Co-Partner, selber Pasta, die wir nachher allen unseren Mitarbeiter*innen vorbeibringen. Als kleine Corona-Aufmerksamkeit.
Ich erinnere mich noch an das letzte Premierenbuffet bei Leonce und Leonce, einen Tag vor dem Lockdown. Das war bereits kein gewöhnliches Buffet mehr, sondern eine grosse hygienische Herausforderung: Jedes Häppchen musste einzeln verpackt werden! Wobei, gewöhnlich sind deine Premierenbuffets ja sowieso nie...
Natascha: Ja, das stimmt. Für die Premierenbuffets war ich auch schon an meinem früheren Arbeitsort in der Gessneralle verantwortlich. Ich hatte ein sehr beschränktes Budget und das musste für 100-400 Personen reichen. Ich hab’ mich mit Budget-Produkten durchgeschlagen und trotzdem versucht, aus dem wenigen so viel wie möglich herauszuholen. Da spielt die Ästhetik eine wichtige Rolle: Wenn eine Käseplatte wahnsinnig schön aussieht und du vielleicht noch irgendetwas aus dem Wald holst und dazu drapierst, sieht alles gleich viel üppiger aus. Auch am Schauspielhaus ist das Budget beschränkt: Pro Besucher*in habe ich ca. fünf Franken zur Verfügung. Es ist halt immer die Frage, was man günstig produzieren kann, damit es nach viel aussieht und lecker ist. Dazu hab’ ich auch immer den Anspruch, dass es thematisch etwas vom Stück reflektieren soll. Wenn ich wählen müsste, würde ich ausschliesslich Premierenbuffets machen. Hier habe ich maximale Freiheit und muss Niemandem Rechenschaft ablegen.
Vor einiger Zeit hatten wir ein Stück von René Pollesch hier, wo die ganze Szenerie eine Zirkusarena war. Das Buffet war dann eine Art Jahrmarkt mit Lametta, Pudding, kandierten Äpfeln, süssem Popcorn und gebrannten Mandeln. Das ist natürlich sehr plakativ. Manchmal machen wir es auch etwas subversiver.
Wie holst du dir die Informationen über das Stück?
Natascha: Wenn es mir möglich ist, dann gehe ich in die Generalprobe. Ich sehe ja auch täglich die Leute in der Kantine, dann kannst du auch nachfragen, oder dazwischen mal einen Blick aufs Bühnenbild werfen.
Sachiko: Ich erinnere mich noch an das Premierenbuffet bei Der Streik im Januar. Das war soo lecker! Leider bin ich etwas spät gekommen und Vieles war schon weg.
Natascha: Ja, bis die Schauspieler*innen kommen, ist leider oft schon fast alles weg. Die Leute stürzen sich ja regelrecht auf das Buffet. Dann ist auch die Ästhetik sofort futsch. Sehr amüsant sind die Kommentare der Leute, von Reklamationen bis hin zu Lobeshymnen hab’ ich schon alles gehört. Einmal hat mich ein Besucher gefragt, wo denn die Fleischesser an diesem vegetarischen Buffet auf ihre Kosten kommen würden. Sowas verstehe ich dann nicht. Auch ein vegetarisches oder veganes Buffet sollte spannend genug sein, zumal wenn es gratis ist. Und vor allem: Eins solcher Kommentar in der heutigen Zeit... dann geh doch zu McDonalds und hol dir einen Burger!
Stichwort McDonalds: Was sind denn eure persönlichen Ess-Sünden, die euch eher peinlich sind? Bei mir ist es zum Beispiel Thunfisch aus der Dose...
Natascha: Da gibt es schon ein paar Dinge... Ich liebe die Toscana Tiefkühlpizza aus der Migros! Mit Schinken und Pepperoni. Die kenne ich seit meiner Kindheit. Freitagabend hat meine Mutter immer Tanzstunden gegeben und ich habe mit meinem Papa Knight Rider geguckt und eben diese Toscana-Pizza gegessen.
Sachiko: Ja, diese Tiefkühlpizzen. Ich weiss, dass es nicht gut ist, aber manchmal möchte ich sowas auch essen. Oder Pommes, Chips... Wenn ich meinem Sohn ausnahmsweise gesagt habe, dass er heute essen darf, was er will, kaufte er immer Tiefkühlpizza. Ich habe es wahrscheinlich zu lange verboten. Verbotenes Essen schmeckt leider einfach sehr gut.
Habt ihr in eurem normalen (nicht Corona-)Alltag einen geregelten Ess-Rhythmus?
Natascha: Ich schon, denn meine Tochter ist erst drei. Man isst zusammen Frühstück, bei der Arbeit esse ich mit dem Team und zuhause koch ich wieder für meine Kleine. Pizza vor dem Fernseher kommt nur ca. zweimal im Jahr vor. Ich wünsche mir manchmal, es gäbe eine grössere Unregelmässigkeit.
Sachiko: Als ich noch mit meinem Sohn gelebt habe, musste natürlich auch alles sehr regelmässig sein: Um 7 Uhr Frühstück und nach der Probe bin ich sofort nach Hause, habe schnell gekocht, mit ihm gegessen und musste danach zurück ins Theater zur Vorstellung. Zum Kochen hatte ich nur 20 Minuten Zeit und ich musste mich voll darauf konzentrieren. Das war wie eine Art Meditation, der ganze Stress von der Probe war danach einfach weg und ich konnte mit einem völlig frischen Gefühl zur Vorstellung gehen. Jetzt esse auch einfach mal in der Kantine, wenn ich nicht so viel Zeit habe. Aber eigentlich war dieses Ritual sehr gut und deshalb habe ich wieder damit angefangen.
Ich koche meistens mehrere Gerichte gleichzeitig: Reis, Misosuppe, Natto. Und dazu noch ein Fleischgericht, Gemüse und kleine Beilagen. Oder Ramen, Udon... Mein Papa war typisch japanisch: Er sagte immer, weniger als fünf Gerichte seien kein Abendessen.
Abschlussfrage: Was steht bei euch diese Woche noch auf dem Speiseplan?
Sachiko: Jetzt habe ich vorhin das Natto aufgemacht, als ich es euch gezeigt habe. Das heisst, ich muss das heute essen. Mit Reis und Misosuppe natürlich. Heute esse ich den Reis vegetarisch, nur mit den Sojabohnen. Das ist auch gut.
Natascha: Ich gehe zurzeit nur einmal in der Woche einkaufen und dann ist die ganze Woche durchgeplant. Morgen gibt es zum Beispiel Spinat-Pita, ein bosnisches Gericht mit Kichererbsen - und Rüeblikuchen. Übermorgen gibt’s Riz Casimir, kennst du das, Sachiko? Das ist ein ganz schlimmes Schweizer Gericht. Mit Currypulver, Rahmsauce und Büchsenfrüchten. Das hat Herr Mövenpick in der 70er/80er-Jahren erfunden, damit die Schweizer*innen auch etwas «Exotisches» essen können. Aber es ist schon fein imfall.
Sachiko: Das möchte ich mal probieren!
Natascha: Gib mir nachher deine Adresse, dann bring ich dir übermorgen was vorbei.
Sachiko: Dann kannst du dafür etwas Natto mitnehmen!
Natascha: Perfekt! Übrigens, noch ein kleiner Kochbuch-Tipp zum Schluss: Speisekammer. Es zeigt, wie man Vorräte des täglichen Bedarfs ganz einfach selber machen kann. Es ist das schönste Kochbuch, das ich je gesehen habe!
Hoffentlich können wir vor dem Sommer nochmals zusammen in der Kantine essen!
Sachiko: Ja! Das wäre schön.