Theater als Bastionen
des Handwerks
erschienen am 16. April 2020
Hanne, Du bist gelernte Gewandmeisterin und nun Leiterin des Kostümwesens am Schauspielhaus Zürich. Könntest Du zum Einstieg erklären, wie Du zu dieser Arbeit gekommen bist? Gewandmeisterin ist ja ein sehr seltener Beruf.
Hanne: Es ist tatsächlich ein seltener Beruf. Die Ausbildung zur Gewandmeisterin gibt es nur einmal - in Hamburg. Ich bin den klassischen Weg gegangen und habe erst eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht. So lernte ich die handwerkliche Schneiderarbeit und spezialisierte mich dann zur Gewandmeisterin. Das ist die Schneidermeisterin fürs Theaterkostüm. Man erstellt die Schnitte anhand der Figurinen, schneidet zu und führt die Anproben mit den Schauspieler*innen durch. Anders als eine klassische Schneidermeisterin setze ich mich auch mit der Theater- und Kostümgeschichte auseinander.
Wusstest Du, dass Sophie Grossmann, unsere Kreativdirektorin und Co-Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, knapp an einer Karriere im Kostümwesen vorbeigeschrammt ist? Und ihre Leidenschaft für Design zum Hobby entwickelt hat?
Hanne: Nee, ach wirklich?
Sophie: Ich sammle antike Abendkleider aus dem frühen 20. Jahrhundert, aus der «Edwardian Era».
Hanne: Was?!
Sophie: Ja, ich liebe Textilien. Mich faszinieren Textilmuseen, antike Kleider, vor allem die opulentesten davon.
Hanne: Wo sammelst Du das?
Sophie: Sehr unterschiedlich: online oder über Begegnungen an Flohmärkten. Oder jemand sagt mir, er habe ein Kleid von seiner Grossmutter. Ich hatte ein Praktikumsangebot für das Victoria & Albert Museum in London in der Textilsammlung und bin dann aber auf Abwege gekommen und habe Journalismus und Kommunikation studiert. Vor drei Jahren habe ich dem Opernhaus einen langen Brief geschrieben, ob ich ein Kostümpraktikum machen dürfe. So bin ich in die Oper und dann ins Theater gekommen. Ich wollte eigentlich Kostüme machen.
Hanne: So lustig! Und warum bist Du nicht mehr im Kostümwesen?
Sophie: Ich hab die Arbeit mit dem Text vermisst. Nun halte ich ständig Plädoyers dafür, wie Kostüme Zugänge zum Theater vermitteln.
Hanne: Ja, unbedingt. Auch wenn die Möglichkeiten beschränkt sind, kann man mit Kostümen vieles möglich machen. Das wird oft unterschätzt.
Sophie: Ich habe von dieser ersten Spielzeit viele Kostümeindrücke.
Hanne: Ehrlich? Das freut mich. Welches Kostüm hat Dir denn besonders gefallen?
Sophie: Die Kostüme von Marysol del Castillo in Faust II. Natürlich fiel mein Augenmerk direkt auf die sehr eleganten Stücke, die Karin Pfammatter darin trägt. Mir hat aber auch die Umsetzung der «Gucci-Gang» in Früchte des Zorns der Kostümbildnerin Lene Schwind gefallen.
Hanne: In der Detailarbeit und im Entstehungsprozess war die «Gucci-Gang» ein ziemlich aufwendiges Kostümbild. Es hat sich aber sehr gelohnt, das Ergebnis ist wirklich schön.
Sophie: Magst Du es, wenn Kostümbildner*innen mit Figurinen zu Dir kommen?
Hanne: Ich begrüsse es sehr. Es ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich und wird immer seltener. Das prozesshafte Arbeiten steht im Vordergrund, das bedeutet, dass von den Figurinen der Kostümabgabe schlussendlich auf der Bühne häufig nicht viel übrig ist.
Näht ihr für eine Rolle zig verschiedene Kostüme und am Ende wird eines ausgewählt?
Hanne: Im Probenprozess wird viel verändert. Es ist häufig so, dass wir eine Abgabe haben und zwei Wochen später alles wieder ändern. Das komplette Kostümbild kann sich in dem zweimonatigen Probenprozess wandeln: Das Stück wird erst geschrieben, es kommen weitere Figuren dazu - das alles ist extrem herausfordernd.
Was geschieht mit den Kleidern, die es nicht auf die Bühne schaffen?
Hanne: Alles, was wir herstellen, wird im Fundus gelagert und später wiederverwertet. Wir haben zwei Stockwerke und eine Person, die nur für die Pflege und Verwaltung des Fundus’ zuständig ist. Ohne Fundus wären wir nicht so flexibel, könnten nicht rasch umbesetzen, oder auf Änderungen in den Proben reagieren.
Sophie: Nähst Du Deine eigenen Kleider auch selbst?
Hanne: (lacht) Als ich noch Zeit hatte in meinem Leben, habe ich solche Sachen gemacht, aber nun mit den Kindern nicht. Ich sitze ja selber nicht mehr an der Maschine und glaube auch das exakte Schneidern langsam zu verlernen…
Und Du Sophie? Kannst Du nähen?
Sophie: Nicht wirklich, ich war mal bei einer Dame im Kurs, deren Mutter in den 50er Jahren Haute-Couture-Schneiderin war. Einmal musste ich eine Seidenhose abnähen - von Hand. Das ist mir schmerzhaft in Erinnerung geblieben.
Hanne: lacht. Wo lagerst Du die gesammelten Kleider? Alle zu Hause bei Dir im Schrank?
Sophie: Ja, ich kann Euch auch gerne zwei Stücke zeigen. Aus 1910. Ich interessiere mich zum Beispiel für Stickereien wie hier mit Glasperlen: (Zeigt ein Abendkleid aus handbestickter Seide und Spitze). Ist blöd, dass ihr die Kleider durch den Bildschirm nicht anfassen könnt.
Hanne: Trägst Du das auch?
Sophie: Das hier nicht, aber ich habe auch schon an unseren Premierenfeiern Kleider aus meiner Sammlung getragen.
Hanne: Wie viele solcher Kleidungsstücke hast Du?
Sophie: Ich habe in dieser Home-Office Zeit tatsächlich ein Inventar gemacht. Von diesen speziellen Kleidern sind es etwa 40.
Hanne: 40?! Du Sophie, ich komme dann auf Dich zu, wenn wir Kleider aus dieser Zeit brauchen. Du zeigst mir dann Dein Inventar und wir verhandeln.
Sophie: Ja gerne. Würdest Du für eine Produktion auch mal selber die Kostüme entwerfen?
Hanne: Nee. Ich bin wirklich mehr die Handwerkerin und habe Interesse an der praktischen Umsetzung. Ein Kostümbild zu entwerfen reizt mich nicht und würde mich auch überfordern. Die Kleider, die Du sammelst, wurden noch von Hand gefertigt. Heutzutage kann sich dies keiner mehr leisten und das Handwerk droht auszusterben. Für das Theater ist es aber von grosser Bedeutung, so handwerklich arbeiten zu können, um alle Anforderungen umsetzen zu können. Deswegen ist es auch wichtig, alte Kostüme aufzuheben, damit das handwerkliche Wissen nicht so schnell verloren geht. Die Ausbildungen werden heutzutage nämlich immer industrieller.
Sophie: Theater und Opern sind Bastionen dieses Handwerks.
Hanne: Ja, heute gehen nur noch vereinzelte Personen zu einem Schneider, um sich ein Couture-Kleid oder einen Anzug schneidern zu lassen. Es kann sich kaum noch einer leisten. Umso wichtiger sind die Theater.
Sophie: Jetzt näht ihr Masken.
Hanne: Ja, genau. Wir haben sowohl im Home-Office als auch im Schiffbau fleissige Schneider*innen, die für unsere Mitarbeitenden Masken schneidern. Dafür benutzen wir Stoffe aus unserem Lager; ein Baumwoll-Polyester-Gemisch, das bei 90 Grad gewaschen werden kann. Die Anproben der Kostüme können im Moment ja nicht stattfinden und die meisten Kostümbildner*innen sind auch nicht hier oder können nicht einreisen. Anproben über Zoom zu machen ist echt schwierig.
Am Ende des Gesprächs zeigt Sophie Grossmann noch einen Mantel aus ihrer Kollektion. Diesen Moment haben wir im Bild festgehalten.