Zehn Autor*innen,
zehn Gespräche -
Leif Randt über Reigen

Reigen, die Inszenierung von Yana Ross, wurde bei den Salzbuger Festspielen im Juli 2022 uraufgeführt. Für die Inszenierung treiben zehn international renommierte Autor*innen den historischen Stoff von Arthur Schnitzler ins Heute: Lydia Haider, Sofi Oksanen, Leïla Slimani, Sharon Dodua Otoo, Leif Randt, Mikhail Durnenkov, Hengameh Yaghoobifarah, Kata Wéber, Jonas Hassen Khemiri und Lukas Bärfuss haben je eine der zehn Szenen neu geschrieben. Im Rahmen der Premiere in Österreich hat Leila Vidal-Sephiha Gespräche mit den Autor*innen geführt, die wir im Laufe der Spielzeit im Journal publiziert haben. Dieses Mal erzählt Leif Randt unter anderem über seine Beziehung oder das Fehlen derselbigen zu Arthur Schnitzler und seine bisherigen (Arbeits-)Erfahrungen im Theater. Ausserdem gibt es einige Rekapitulationen der Covid-Zeit, die das Gespräch auch zu einem Zeitdokument machen. 


von Leila Vidal-Sephiha
erschienen am 13. Juni 2023

Leila Vidal-Sephiha: Welche Beziehung hast du zu Arthur Schnitzler und seinem Werk?

Leif Randt: Zu Arthur Schnitzlers Werk habe ich um ehrlich zu sein fast keine Beziehung. Ich habe mir als die Anfrage kam den Reigen durchgelesen und konnte relativ viel damit anfangen, dafür dass es auch schon ein älterer Text ist. Und auch dafür, dass ich nicht so viel Dramatik lese. Ich komme ja gar nicht vom Theater, sondern mehr von Prosa und auch Film. Mit der Figurenkonstellation älterer Mann und jüngere Frau konnte ich viel anfangen, weil ich mir dachte, das ist schön bürgerlich und konservativ, da kann ich mich drin austoben. In so einem fast schon zu harmlos alltäglichen Palaver. Ich habe gestern den Begriff Neo-Boulevard gehört und dachte, das könnte auch eine Zukunftsform für meine Theaterarbeit sein. Neo-Boulevard-Stücke schreiben.

Leila Vidal-Sephiha: Was war für dich beim Umschreiben einer dir zugeteilten Szene in einen zeitgenössischen Kontext die grösste Herausforderung?

Leif Randt: Ich glaube gar nicht, dass die Herausforderung so gross war, sondern sah die Gefahr bei dem Projekt eher darin, dass Autor*innen wieder in diese Schüler*innen-Rolle kommen. Man hat so diese total coole Hausaufgabe, dass man einen Originaltext frei übertragen darf. Das ist fast schon zu dankbar. Auf der anderen Seite ist immer im Hinterkopf, dass an diesem Abend noch neun andere Texte kommen. Man kann sich also leicht verstecken. Bei mir war der Ansatz so, dass ich eher was harmloses machen wollte, als rauszustechen, weil die Gefahr ja auch ist, dass jede Person alle möglichen Diskurse in diesen kurzen Dialog reinpackt. Dann dachte ich mir: lieber zu wenig als zu viel.

Leila Vidal-Sephiha: Was sind die Aussagen aus Schnitzlers Originalstück, die für dich wichtig sind und du gerne beibehalten wolltest? Und welche nicht?

Leif Randt: Es geht ja auch um das «richtige Leben» in einem konservativen Sinne, also das ehrenvolle Leben der Ehefrau, die sich dem Mann verschreibt. Aber der Mann hat gleichzeitig seine Erfahrungen gemacht, er ist ja auch älter. Den Diskurs darüber fand ich nicht mehr so interessant. Obwohl zum Beispiel das Thema Treue wäre auch ein Ansatz gewesen. Aber zu dem Zeitpunkt, als ich diese Aufgabe hatte, im Frühjahr 2021, war ich total von der Stimmung dieser Zeit geprägt, von dieser Long-Covid-Melancholie. Die beiden fiktiven Figuren haben im Mai 2020 geheiratet, also in einer Zeit als man noch diese Aufregung hatte von «Wow, die Welt verändert sich gerade massiv!» und «Lass uns enger zusammenrücken!» So eine Tendenz zu einer Konservatisierung, entweder haben sich Leute getrennt oder sie sind enger zusammengekommen, viele haben ja dann auch Kinder bekommen. Das ist ja auch eine eigenartige Situation, dass man sich, wenn alles den Bach runtergeht, denkt: «Komm, lass uns Familie gründen!» Auch extrem merkwürdig eigentlich. 2021 wirkt ein Jahr später, also 2022, und vor dem Hintergrund von Krieg und echter Bedrohung, fast schon wie ein Luxusproblem. Und trotzdem habe ich mich dann entschieden den Text in 2021 stehen zu lassen. Was hat die Pandemie gemacht? Wie haben wir uns verändert? Und was ist aus unseren Beziehungen geworden? Das passiert ja alles parallel auch noch. Yana Ross hat mich irgendwann in einer eMail angefragt, ob das Paar nicht auch noch was zur Ukraine sagen sollte. Dann habe ihr gesagt: Wenn das Paar was zur Ukraine sagen würde, dann wäre es ein ganz anderer Dialog und eine ganz andere Stimmung. Sie hätten nicht dieses leicht lethargische sentimental-hadernde, das eigentlich den Dialog ausmacht.

Leila Vidal-Sephiha: Wie war es für dich fürs Theater zu schreiben, vor allem in diesem besonderen Kontext?

Leif Randt: Ich kann dazu sagen, dass ich bisher mit dem Theater sehr gemischte Erfahrungen gemacht habe. Ich fand es immer intensiv, aufregend, auch sozial, dass man mit den Leuten so viel zusammen macht. Das ist so das Schöne am Theater, dass einen fast süchtig machen könnte, aber diese ganze Intensität ist eigentlich überhaupt nicht mein Temperament. Ich sitze eigentlich eher zuhause, schreibe in Ruhe meinen Prosatext, lese mir den laut vor und habe ihn komplett unter Kontrolle. Wenn dann Schauspielende auf der Bühne etwas damit machen, kann ich mich unter Umständen im Publikum auch sehr fremd fühlen. Das hat sich jetzt bei der Inszenierung von Yana Ross nicht hergestellt. Dafür, dass Schauspieler*innen meinen Text sprechen habe ich sehr wenig gelitten.

Leila Vidal-Sephiha: Und das war sonst anders?

Leif Randt: Ja, insbesondere bei Radiobeiträgen, in denen dann Radiosprecher*innen vorlesen und dann so sehr stark spielen plötzlich. Einen Text, der in meiner Wahrnehmung sehr trocken und ohne besondere Melodie und Gestaltung auskommen sollte, weil es auch zur Prosa passt, dann plötzlich so extrem gestalten. Man spürt dann, wo der*die Sprecher*in auch moralisch dazu steht. Ich dachte mir schon oft so: Okay, du liest den Text grad kaputt. Das ist auf Bühnen tatsächlich weniger passiert, weil die Schauspieler*innen zu gut sind. Ich war ziemlich angetan von der Sprechweise. Zum Glück hatten sie auch Headsets. Einen solch alltäglichen Esstisch-Dialog für den ganzen Raum zu rufen ist, glaube ich, automatisch sofort etwas anderes und so konnten sie einfach gut sprechen. Das hat mir ganz gut gefallen.

Leila Vidal-Sephiha: Was bedeutet für dich denn Theater? Und was wünschst du dir vom Theater?

Leif Randt: Ich habe glaub in letzter Zeit sogar vergleichsweise viel über Theater nachgedacht, weil in meinem Freundeskreis viele da arbeiten. Während der Lockdowns fragte ich mich, in welcher Reihenfolge ich das Ausgehen auf Kunst vermisse. Ganz vorne war bei mir Kino. Ich wollte wieder ins Kino gehen und diese konzentrierte Filmrezeption erleben. Dann wollte ich wirklich gerne wieder mit Leuten zusammen laute Musik hören, seien es Konzerte oder DJs. Danach hatte ich Sehnsucht. Mein Sport hat mir gefehlt, den ich nicht machen konnte. Aber Theater war sogar noch hinter dem Besuchen von Ausstellungen im Ranking, was okay ist, weil ich dem Theater nicht so nah bin, aber was ich verheerend fand, war, dass auch die Leute, die es beruflich machen, sich ähnlich äusserten. Dass ihnen das Theater nicht so sehr fehlte. Und da sehe ich schon ein Problem. Dass diese Kunstform vielleicht sogar bisschen in der Krise ist. Vielleicht sollte man aber Dinge auch bisschen runterkochen vor dem Hintergrund, was die Theater denn für Möglichkeiten haben. Die haben da viele Leute, die wahnsinnig gut Text sprechen. Sie haben die Möglichkeit innerhalb von zwei Probetagen einen Text zu installieren und Leute einen aktuellen Text näherzubringen, und das viel besser, als wenn Autor*innen dies tun. Ich dachte mir, wenn man einfach alle zwei Wochen eine szenische Lesung mit einem brandneuen Text machen würde, hätten so viele Autor*innen Lust sich daran zu beteiligen. Und ich glaube auch, dass es ein Publikum dafür gäbe. Und so ähnlich könnte man es bei den anderen Teilaspekten auch denken. Eine Ausstellung mit Bühnenbilder zum Beispiel. Dass nicht alles zusammen gedacht werden muss mit sechs Wochen Proben, wo alle rumsitzen müssen, obwohl sie ihre Arbeit nur in einer Woche machen, sondern dass man das alles bisschen vereinfacht. Und dass man für eine Produktion mal nicht 100’000 Euro ausgibt, sondern vielleicht 5’000 für einen Abend, der total Spass macht und dreimal läuft. Ich würde das alles viel kleiner denken. Kurzfristiger und aktueller, das würde ich dem Theater wünschen.

Leila Vidal-Sephiha: Gibt es noch eine Frage, die du gerne gestellt bekommen würdest?

Leif Randt: Ich glaube, dass das mit dem Theater ganz interessant war, da ich da in letzter Zeit auch viel darüber nachgedacht habe bei so leidvollen Vorstellungen. Alle finden es durchschnittlich und nicht so gut. Diese Erfahrung hatte ich jetzt paar Mal in den letzten Monaten, wo ich mir dann dachte, dass es nicht so sein sollte. Es ist eine privilegierte Kunstform, die Fördergelder hat und die auch nicht so viele Leute wirklich interessiert, es ist eine kleine Szene, es sind nur so ein paar Tausend Leute, die Theater kucken wollen. Aber das sind eigentlich hochmotivierte Menschen, die aber ständig alles blöd finden. Und das kann nicht sein, da läuft etwas grundlegend falsch. Persönlich vermisse ich total die Münchner Kammerspiele unter Lilienthal, weil ich da sehr oft Dinge gesehen habe, die ich toll fand. Da dachte ich mir auch, dass Theater echt eine gute Kunstform ist, eine irgendwie eigenartige Mischform aus allen möglichen Dingen. Und seither bin ich immer im Theater und denke mir: Why? Da würde ich mir Neuausrichtungen wünschen.

Leila Vidal-Sephiha: Auch dass Autor*innen mehr mitbedacht werden sollten?

Leif Randt: Vielleicht nicht bei einem klassischen Stückauftrag, ich habe ja auch noch nie ein Stück geschrieben. Aber wenn man es jetzt eher als Forum sehen würde, das ist vielleicht bisschen konservativ, aber einfach ein paar gute Lesungen. Drei Schauspielende, die geteilt einen Text lesen, der aktuell ist. Vielleicht auch noch mit einem Bühnenbild versehen oder einem Video. Aninszeniert. Solche Sachen gab es auch teilweise an den Münchner Kammerspielen. Thomas Hauser hat mal einen solchen Abend gemacht mir David Foster Wallace Texten und dazu wurde Nintendo-Wii gespielt. Und es war total cool, es gab das genau einmal und er hat nur ein paar Tage geprobt. So etwas könnten Theater viel mehr machen. Man müsste das Publikum zu so kleinen Formaten ein bisschen erziehen vielleicht, aber da sehe ich Potential. Flexiblere Spielpläne und alles ein wenig entspannen.