Zehn Autor*innen,
zehn Gespräche -
Hengameh Yaghoobifarah über Reigen
Reigen, die neue Inszenierung von Yana Ross, wurde bei den diesjährigen Salzbuger Festspielen im Juli uraufgeführt. Für die Inszenierung treiben zehn international renommierte Autor*innen den historischen Stoff von Arthur Schnitzler ins Heute: Lydia Haider, Sofi Oksanen, Leïla Slimani, Sharon Dodua Otoo, Leif Randt, Mikhail Durnenkov, Hengameh Yaghoobifarah, Kata Wéber, Jonas Hassen Khemiri und Lukas Bärfuss haben je eine der zehn Szenen neu geschrieben. Im Rahmen der Premiere in Österreich hat Leila Vidal-Sephiha Gespräche mit den zehn Autor*innen geführt, die wir nun nach und nach und in Originalsprache im Schauspielhaus Journal publizieren. Im dritten Gespräch der Reihe rekapituliert Hengameh Yaghoobifarah die Herangehensweise an die Aufgabe der Überschreibung von Schnitzlers Original und plädiert für eine zeitgenössische Ausdrucksweise in zeitgenössischen Texten.
von Leila Vidal-Sephiha
erschienen am 05. Oktober 2022
Leila Vidal-Sephiha: Was für eine Beziehung hast du zu Arthur Schnitzler und seinem Werk?
Hengameh Yaghoobifarah: Bis ich die Anfrage bekommen habe, eine Szene zu schreiben, hatte ich gar keine Beziehung zu Arthur Schnitzler. Ich kannte weder ihn noch das Stück. Dann habe ich mich eingelesen. Und fand gut, dass er eine Anti-Kriegshaltung hatte oder dass er damals so ein skandalöses Stück wie den „Reigen“ geschrieben hat. Daher fand ich ihn sympathisch und ich hatte Bock mich mit dem Stück auseinanderzusetzen.
Leila Vidal-Sephiha: Was war für dich die grösste Herausforderung beim Umschreiben und Übersetzen der Szene in einen heutigen Kontext?
Hengameh Yaghoobifarah: Ich musste schauen, wie nah mein Text am originalen Kapitel sein sollte. Ich wusste ja auch nicht, was die Person vor und nach mir schreibt und trotzdem sollte es sich irgendwie aufeinander beziehen können. Ich bin dann relativ nah am Original geblieben, auch das hat Spass gemacht.
Leila Vidal-Sephiha: Welche Aussagen und Bezüge aus Schnitzlers Stück waren für dich wichtig und sollten beibehaltet werden?
Hengameh Yaghoobifarah: Die Bezüge zu Klassenfragen waren wichtig für mich. Die Machtverhältnisse, die sich ergeben, wenn eine Person aus einem bürgerlich-kreativen Umfeld und eine deutlich jüngere und ärmere Person zusammenkommen. Ich habe dann zusätzlich eine Race-Ebene eingezogen. Die Geschlechtsebene wird anders verhandelt, weil meine Figuren in keiner hetero-Konstellation sind. Klasse und Kapital sollten die Hauptrolle spielen.
Leila Vidal-Sephiha: Haben aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse dein Schreiben beeinflusst?
Hengameh Yaghoobifarah: Nicht akut. Aber natürlich kommen aktuelle Ereignisse und Diskurse immer irgendwie vor: Zum Beispiel soziales und sexuelles Kapital. Trotzdem war meine Szene nun auch ganz klar kein Kommentar auf den russischen Angriffskrieg oder so. Grundsätzlich kommt es darauf an, was für einen Text in was für einem Kontext ich schreibe, und je nachdem hat aktuelles Geschehen dann einen grösseren Einfluss oder auch nicht.
Leila Vidal-Sephiha: Du verwendest sehr zeitgenössische Begriffe. Inwieweit ist es für dich wichtig, dass man den modernen Kontext der Szene auch in der Sprache verorten kann?
Hengameh Yaghoobifarah: Im Briefing hiess es, dass die zeitgenössischen Leute auch zeitgenössisch klingen sollen. Das war jetzt meine erste Szene für ein Stück in einem Theater. Es war natürlich alles sehr dialogbasiert, was ich von meinem eigenen Roman kannte. Und auch dort war es mir wichtig, dass die Leute so sprechen, wie sie halt sprechen.
Leila Vidal-Sephiha: Wie war es für dich fürs Theater zu schreiben?
Hengameh Yaghoobifarah: Ich habe in der Schulzeit mal etwas Kurzes für die Bühne geschrieben. Es war ja auch spezifisch eine Anfrage an Autor*innen, die eher weniger fürs Theater schreiben. Dadurch hatte ich nicht das Gefühl, mich irgendwie anpassen zu müssen und habe einfach meinen eigenen Zugriff entwickelt. Nach einer anfänglichen Konzeptentwicklung habe ich losgeschrieben und das hat geflowt.
Leila Vidal-Sephiha: Hast du im Schreibprozess etwas gefunden, dass anders war als damals bei deinem Roman?
Hengameh Yaghoobifarah: Dadurch, dass die Inszenierung als eine Art Kammerspiel angelegt ist und keine Ortswechsel stattfinden, befindet man sich die ganze Zeit im Präsens. Man hätte sicher auch Rückblenden machen können, aber das war nicht das Wichtigste. Es ging um den Dialog und die Spannung zwischen den beiden Figuren. Es hat mir Spass gemacht, mich nur darauf zu konzentrieren.
Leila Vidal-Sephiha: Was bedeutet das Theater für dich?
Hengameh Yaghoobifarah: Das Theater hat historisch einen grossen Einfluss auf die Gesellschaft und ich finde es deshalb schade, dass der Wirkungsraum heute eher begrenzt ist; weil nur bestimmte Leute sich angesprochen fühlen oder es sich leisten können, ins Theater zu gehen. Oder auch dass nicht alle Leute einen physischen Zugang haben. Viele Theater sind ja sehr schöne alte Gebäude und es sind oft keine barrierefreien Räume. Es sind Räume für sehr bestimmte Personen, für ein sehr bestimmte Klasse und das zeigen für mich gerade auch die Salzburger Festspiele. Ich bin eh davon ausgegangen, dass das so sein wird, weil die Festspiele für mich dieselbe Schublade wie Mozartkugeln und Sachertorte sind. Deshalb war es für mich jetzt nicht der relevante Ort und trotzdem fühlt es sich besonders an hier zu sein. Es ist sehr eindrucksvoll. Ich würde mir vom Theater wünschen, dass es mehr seine historisch subversive Rolle aufgreift und weniger Menschen ausschliesst. Auch was die Präsenz auf der Bühne betrifft. Dazu kommt, dass es ein sehr ausbeuterischer Betrieb ist, fast an jedem Haus gibt es diese Tyrannei-Geschichten von Intendant*innen oder Menschen in Machtpositionen, die diese missbrauchen und gewaltvoll sind. Das finde ich ziemlich traurig.
Leila Vidal-Sephiha: Hast du deine Szene mit einem Bewusstsein dafür, wer im Publikum sitzt geschrieben?
Hengameh Yaghoobifarah: Ich habe nicht für das Salzburger Festspielpublikum geschrieben. Es ist ja eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich und dort werden es nochmals ganz andere Leute sehen. Ich schreibe ja grundsätzlich keine spezifische Zielgruppe an. Aber ich schreibe so, dass ich die Themen behandle und anspreche, die mich interessieren und die oft auch mein Umfeld interessieren. Dass wir zu den Salzburger Festspielen gehen war für mich nicht so vorrangig im Schreibprozess.
Leila Vidal-Sephiha: Wie ist es Teil von diesem Konstrukt von zehn Autor*innen zu sein?
Hengameh Yaghoobifarah: Es ist schön ein Teil von diesen Zehn zu sein, von denen ich auch einige davor schon kannte und deren Arbeit ich bewundere. Es ist auch spannender Mix gelungen. Einige sind ja von der Arbeit her bisschen ähnlich, alle haben irgendwie eine Überschneidung. Es ist kein Tag-Nacht-Unterschied. Es sind alles progressive zeitgenössische Autor*innen und trotzdem in ihrem Schreiben sehr unterschiedlich. Ich fand es sehr schön ein Teil dieser Collage zu sein.
Leila Vidal-Sephiha: Gibt es eine Frage, die du dir gerne stellen würdest?
Hengameh Yaghoobifarah: Vielleicht das Thema Kontrolle. Als Romanautor*in habe ich ja eine sehr grosse Kontrolle darüber, was schlussendlich auf dem Papier steht. Beim Theater war es so, dass ich die Szene geschrieben hab und die Kontrolle dann abgegeben habe. Ich war auch nicht bei den Proben dabei, deswegen war es für mich auch sehr unerwartet und überraschend, dass meine Szene so aufgeführt wurde, wie sie aufgeführt wurde. Ich fand die Schauspieler*innen grossartig, sie haben die Spannung sehr gut rübergebracht. Aber zum Beispiel dieser Nazizeit-Einspieler war so nicht im Skript drin und ich kann die Entscheidung der Regisseurin nachvollziehen aus ihrer jüdischen Perspektive. Ich fühle mich aber nicht so nur gutdamit, dass es für das Publikum nicht ersichtlich ist, wessen Idee es war, das so zu kombinieren. Dass eine reiche weisse Dichterin und eine junge Frau of color gleichgesetzt werden mit Nazi und Jüdin. Oder dass die Passagen, in denen lesbische Sexualität ganz explizit ist, mit Kannibalismus-Andeutungen aufgeführt wurden. Das war unerwartet und ich hätte das so nicht gemacht. Aber diese Kontrolle hatten wir als Autor*innen nicht. Wir gaben unseren Text in die Hände der Regisseurin und dann arbeiten viele verschiedene Leute daran. Dann ist eben nie so, wie man es sich vorgestellt hat.