Warum ein guter Abend
nicht schön sein muss
Claudio Els, aktives Mitglied des Vereins «Die Feministen», hat die Premiere von Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit besucht und teilt seine Erfahrungen zu 120 Minuten Mindfuck und Live-Sex nach David Foster Wallace. Seine Grundhaltung und das Hauptziel des Vereins: Die Feministen sprechen über all das, was Männer bis jetzt nicht hören wollten, nicht hören konnten, sich nicht mehr trauen zu fragen, aber unbedingt lernen und leben müssen.
von Claudio Els
erschienen am 17. September 2021
«Live-Sex und Mindfuck» steht in der Beschreibung und genau das hallt in meinem Kopf nach, während ich vor dem Schiffbau qualme. Ich schmunzle, während sich gleichzeitig etwas in meinem Bauch verkrampft. Unbehagen. Unruhe. Ich verlagere mein Gewicht vom einen Fuss auf den anderen. Immer hin und her und halte nur dann kurz ein, wenn ich mir eine Zigarette anstecke. Was erwartet mich? Vorfreude und Angst kollidieren in meinem Kopf. Jetzt noch Unsicherheit. Wo bin ich mit meinen Gedanken? Und: Wo werde ich mit meinen Gedanken sein?
Ich schaue auf die Uhr. Ich gehe rein. Rein, wo ich Antworten auf meine Fragen erhalten werde. Rein, wo meine Unsicherheit nur vermeintlich schwinden wird. Rein, wo das Gedankenkarussell von draussen zur Achterbahn drinnen wird. Und ich versichere: Diese Fahrt, vergisst man(n) nicht.
Nachdem ich nun zwar seit einigen Jahren darum bemüht bin, die Mythen und Stereotypen unserer Gesellschaft hinsichtlich Sexualität zu enttabuisieren - halt eben genau hinzuschauen und zu verstehen – merke ich, dass ich etwas Mut mit in den Saal nehmen muss. Dass zwei Menschen ihre Sexualität ungehemmt auf der Bühne miteinander ausleben, während ich meinen Platz im Saal suche, will mich da noch nicht verunsichern. Das ist natürlich, das ist normal, rede ich mir zu und schaue trotzdem weg. Ich nehme meinen reservierten Platz mit bester Sicht auf den nackten Hintern des Herrn auf der Bühne ein und verabschiede mich still von meinem Mut. Ich schaue im Raum umher. Errötete Gesichter kichern, flüstern und wagen ab und an einen verstohlenen Blick. Gefasste Männerstimmen hinter mir überrationalisieren was vor uns passiert, mit allem, was die Theaterwissenschaft ihnen anzubieten vermag. Bloss nicht hinsehen. Also schon, aber nicht offensichtlich. Oder nur dann nicht, wenn uns jemand zusieht? Es wird dunkel im Raum.
In den folgenden zwei Stunden werde ich an der Hand genommen und durch die inszenierten Interviews mit den fiesen Männern geführt, welche mich, auch nach 120 Minuten, nicht mehr loslassen werden. Immer wieder aufs Neue bin ich versucht, diese mich führende Hand loszulassen. Sie abzuschütteln, mich loszureissen. Ich möchte sagen: Vielen Dank, aber ich kenne den Weg ab hier. Ich denke: Es ist doch offensichtlich, was sein muss und was nicht sein darf. Was nie wieder passieren darf? Dann werde ich wütend. Wütend auf diese fiesen Männer, die meinen Idealismus einerseits zementieren, ihm andererseits aber zugleich seine Überlebensfähigkeit absprechen. Wütend über ihre Rechtfertigungen, ihre konstruierte Logik. Wütend über ihre persönliche Betroffenheit, die sie menschlich macht und sie trotzdem nie entlasten darf. Und ich werde traurig. Traurig darüber, dass ich das Ziel immer klarer sehe, aber die Wege mehr und mehr verschwimmen. Traurig darüber, dass es Menschen gibt, die vielleicht nie einen anderen Weg kennenlernen werden. Traurig darüber, dass es Menschen gibt, zu denen vielleicht gar nie ein Weg hinführt. Ich lasse die Hand nicht los. Ich lasse mich führen, höre und sehe zu.
Über diesen Abend als einen schönen Theaterabend zu sprechen, stellt auf allen erdenklichen Ebenen eine Herausforderung für mich dar. Zynisch erscheint es mir auf der einen Seite, schier unmöglich auf der anderen. Und doch unabdingbar. Denn sogar Humor will heute seinen Platz einnehmen. Mir ist trotzdem so gar nicht nach Lachen und doch muss ich der skurrilen Komik in dieser Tragödie meine Wertschätzung entgegenbringen. Es ist befremdlich und doch geht es nicht anders. Nur warum? Weil nach der Scham, der Wut und der Trauer, sonst nur die Angst übrigbleibt? Weil nur Lachen mir das Gefühl gibt, mit dieser Realität fertig zu werden? Lache ich der Verachtung willen oder aus der Scham heraus? Oder beides?
Die letzten Szenen haben es in sich. Auf allen Ebenen habe ich den Mindfuck mit voller Wucht abgekriegt. Viel ist heute Abend passiert. Auf der Bühne, in meinem Kopf. Das hatte ich so nicht erwartet, das hat gesessen. Wo bin ich nun mit meinen Gedanken? Als Mann, der sich ganz klar nicht zu diesen fiesen Männern zählt, der sich entschieden von ihnen abzugrenzen versucht, sich gegen sie auflehnt, als Feminist, am Ende halt aber doch einfach als Mann, sage ich: Nah, beängstigend nah bei mir.
Der Raum wird hell. Ich stehe auf. Ich applaudiere. Laut.