Tender Talk Nr. 5
Hans Unstern & Faraz Shariat

In Tender Talk #5 trafen zwei Künstler*innen aufeinander, deren politische Zärtlichkeit transformativen Sprengstoff in sich birgt: Hans Unstern macht Songs, Texte, Musikinstrumente, Performances, Theater und begegnete im virtuellen Schauspielhaus Zoom-Salon dem Regisseur und Drehbuchautor Faraz Shariat, dessen Kinodebut Futur Drei im September letzten Jahres veröffentlicht wurde. Die Regisseurin und Dramaturgin Anta Helena Recke, die Unstern und Shariat kennt, hat sich den Tender Talk angeschaut und ihre Gedanken dazu festgehalten. Der Text ist hier nachzulesen und der Aufzeichnung des Tender Talks zur Seite gestellt.


von Anta Helena  Recke
erschienen am 14. April 2021

«Male Nipples Have Feelings Too»

Als ich zum ersten Mal von Hansi (Disclaimer: Wir kennen uns!) vom Format Tender Talks am digitalen Schauspielhaus Zürich gehört habe, dachte ich mir: «What? Wie toll ist das denn? Endlich mal ein Gesprächsformat ohne Thema, bei dem man keine dramaturgische Agenda erfüllen muss und einfach gemütlich eine andere Kunst-Person kennenlernen darf? Enttäuschung der Gastgeber*innen und Themaverfehlung ausgeschlossen? Super!» Es treffen aufeinander: Faraz Shariat, die «Zukuft des deutschen Films» (Zitat Vogue) und Hans Unstern, die Zukunft der deutschen Grammatik (Zitat Anta). Wer sich über komische Wortneuschöpfungen und unerprobte Grammatik in meinem Text wundert: I learned from the best. Hans Unstern ist eine Person, die mich durch ihre Lyrik, sowohl in Alltag und Kunst, immerzu daran erinnert, dass wir die Sprache verdrehen müssen, um frei zu sein. Mein absolutes Lieblingswort von Hansi: Geld-Money.

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Im Vorfeld der Internetveranstaltung fragte ich mich, wie die beiden wohl miteinander schwingen werden und was sie vielleicht verbindet? Das verbindende Element in der Gedankenwelt und in den Arbeitsprozessen beider ist wohl die Auseinandersetzung mit Pop und das Begehren, kulturelle Produkte herzustellen, die gleichzeitig Kunst und Pop sind. Obwohl wir alle schon lange spüren, dass beides kein Gegensatzpaar ist, schaffen es verdammt wenige, die Gleichzeitigkeit von beidem in ihren Arbeiten zu vereinen. Wie macht man Pop? Bin ich Pop? Und wenn nicht, wie kann ich Pop werden?

Es ist, nicht nur medientheoretisch, sondern auch entertainment-technisch hochinteressant, zwei Menschen, die man kennt, dabei zuzusehen, wie sie sich zum ersten Mal treffen und sich quasi unter den Augen der Öffentlichkeit kennenlernen. Spätestens als die beiden sich darüber austauschen, dass sie sich schon mal gesehen haben – und zwar auf meinem 30. Geburtstag – habe ich vergessen, dass dieser virtuelle Raum ein öffentlicher ist.

Natürlich landen wir in angemessener Geschwindigkeit, eigentlich direkt nachdem man sich an Connections, gemeinsamen Scenes und Räumen, in denen man sich hätte begegnen können, sich aber nie begegnet ist, abgearbeitet hat, beim Thema Sex.

In Faraz’ phänomenalem Debutspielfilm Futur Drei gibt es verhältnismässig viele Sexszenen. Vor allem und viel wichtiger aber, wunderschöne und bis dato in Mainstreamfilmen (was der Film auf jeden Fall sein will, sein sollte und sein kann) ungesehene Sexszenen. Hansis Lieblingsszene dreht sich um die Liebkosung einer männlich kodierten Brust, Hans findet in der Szene gehe es um «…das Ungleichgewicht, was welcher Art von Brust zugesprochen wird und was welche Art von Brust darf.» Ich finde den Gedanken «think of yourself as the audience», den Faraz in Reaktion auf den Lobgesang äussert, wahnsinnig spannend und habe natürlich auch schon öfter versucht, ihn für mich und meine Arbeit zu verwenden, bin jedoch immer an der Erkenntnis gescheitert, dass «myself» einfach wirklich extrem selten in den Publikumsräumen der Theater im deutschsprachigen Raum anzutreffen ist. Wenn ich also Theaterstücke für «myself as the audience» machen würde – was ich wirklich wahnsinnig gerne machen würde – würden meine Arbeit und ihr Publikum dann nicht ganz schlimm aneinander vorbeireden? Habe ich deshalb in einer meiner frühesten Performance-Arbeiten in Hildesheim das Reden lieber gleich ganz eliminiert?

Worüber reden zwei Kunstschaffende, wenn sie sich treffen? Sie tauschen sich über ihre Arbeitsprozesse aus. Sie sprechen über ihre Teams. Hansi hat manchmal Bedenken, zu viel von den Menschen, mit denen Hans zusammenarbeitet, zu verlangen, Faraz hingegen ist die Person in seinem Team, die am schnellsten zufrieden mit der Arbeit ist. Perfektionismus? Fehlanzeige.

Nach circa zwei Dritteln der Gesamtredezeit kommt es endlich dazu, dass Hansi einen Song spielt. Bonbons aus Plastik, der Sex-Song vom Album Diven, welches wegen der Pandemie leider die wenigsten gehört haben. Als Faraz selig grinsend das Lied als «Erwachsenen-Märchen» framed, sehne mich danach, das eine*r der beiden Zoomerz kurzzeitig aus ihrem Frame verschwindet, um dann einige Minuten später im Frame der im Internet zurückgebliebenen Person wiederaufzutauchen. Schliesslich spielt sich das alles um die Sonnenallee ab, Quantensprung, Zeitreise, digitaler Glitsch, schwups, Covid plötzlich nur ein Kapitel der Vergangenheit, tender leibliche Koexistenz statt tender Talking. Ach!

Coolerweise kommen die beiden schon bald nach dem virtuellen Bedroom-Konzert auf die Frage nach der Aufführungssituation von Musik und der Frage, was eigentlich der Modus beim Rezipieren von Livemusik sein sollte oder sein könnte, auch in Relation zu verschiedenen Räumen. Im Theater spielen und hören wir ein Konzert anders als im Club, und dort sind wir anders als auf einer Wiese. Eine Angelegenheit, die mich schon seit meiner Studienzeit, die ich teilweise parallel zu Faraz in Hildesheim verbracht habe, beschäftigt. Vor fast zehn Jahren habe ich dort meine allererste Performance zu genau jenem Thema aufs Parkett gelegt. Sie trug den schmucken Titel ~^°♥ $¥? ½gÍ­¥ò W\~ ¾°yн>’ ♥#°»Ð§ (&/¥Ö»§=?° und war eine Veranstaltung die sich zwischen Performancekunst, konzertanter Aufführung und Tanzveranstaltung bewegte. Die Aufführung hatte die äussere Form einer Party, wurde jedoch durch eine inszenierte Einlasssituation durch ein kleines, Verbindlichkeit herstellendes Ritual vorkodiert. Die Besucher*innen konnten nur einzeln oder in ganz kleinen Gruppen in die Einlasssituation, eine Art Stoffhöhle an der Stelle, wo normalerweise die Türsteherin wartet, gelangen. Dort wurden sie darüber informiert, was in der Nacht überhaupt stattfinden würde. Die Ankündigungstexte im Vorfeld blieben nämlich wage, niemand wusste so richtig, wozu man eigentlich geladen war. Einmal in der Höhle angekommen erfuhren die Besucher*innen, dass in der hinter dem Portal lauernden Clubnacht ein Gebot des Nicht-Sprechens herrschte. Sie hatten dann die Möglichkeit wieder zu gehen, oder sich auf den Space inklusive all seiner cringyness einzulassen und gleichzeitig Verantwortung dafür zu übernehmen, dass das Experiment überhaupt stattfinden kann –indem sie die Klappe hielten. Viele Menschen, auch ich, haben diese Hildesheimer Clubnacht ohne Sprechen als eine schöne Magie in Erinnerung behalten. Weil die Frage nach der «westdeutschen Provinz» am Ende des Talks und die Schilderungen der Hildesheimer Tage von Faraz mich sowieso schon in Erinnerungen schwelgen liessen, bin ich am Ende mit dem Cover der Pet Shop Boys schmunzelnd weggedriftet: Home And Dry.