Welche show ist hier over,
welche motherfucking show?
von Eva Seck
erschienen am 30. Juni 2020
Welche show, welche show, denke ich, blicke ins Dunkel; es ist keine gemütliche Dunkelheit, ich fühl’ mich klein, so klein, dass ich in den Bauch einer Amsel passe, klein wie ein Wildkirschenstein, im Magen einer schwarzen Amsel. Welche show ist hier over, welche motherfucking show?
Die Frau von der Aufsicht führt mich zu meinem Einzelplatz, wie eine Richterin zur Richtstätte. Ich lasse mich gerne köpfen und wegschleifen von Wu Tsang. She’s killing me softly.
Ich atme mithilfe der Trompete, mithilfe des Saxophons, sie sind meine Beatmungsmaschinen, sie halten mich am Leben. Und die Frage nach dem Unterschied zwischen Hauchen und Keuchen, zwischen Schnaufen und Röcheln, zwischen Atmen können und Atmen lassen, drängt sich zwischen die Bilder, bis sich rot und blau zu violett vermischen: the color purple / purple rain. Keine Sonne, nur künstliches Licht hier drin; weisse Lichtkreise, dazu das Sprechen vom Kreislauf des Lebens (the circle of life / the circle of light). Bist du hell, bist du dunkel, bist du beides? Was ist das für Musik, ich habe Angst und ich möchte mich gleichzeitig dem Unrecht in den Weg stellen, lasse mich stattdessen wegtragen, einfach so, sie greifen mir flugs unter die Arme und schleppen mich weg, ich kann nur noch verblüfft schauen, schon ziehen sie mich an den Armen hinter sich her. Ich hinterlasse eine Spur und frage mich: Wessen Spur wird in diesem Schlick zu sehen sein bis zum Schluss? Wenn wir alle längst draussen sind aus dem Bild, aus dem frame?
Ich habe nur zwei Hände, eigentlich bräuchte ich acht, wie eine indische Göttin. Ich will essen, ich will sprechen, ich will dir alles zeigen, aber dafür brauche ich Hände und zwar mehr als zwei. Die Amsel kommt im Sommer zurück, sie war nur vorübergehend weg, wurde nur vorübergehend zum Zugvogel; Amseldiaspora, ich singe, blackbird fly, blackbird fly, into the light of a dark black night.
Die Treppen führen von beiden Seiten hinauf, Treppen sind Verbindungsgefüge, sie führen uns von beiden Seiten her zum selben Punkt. Auch wenn du das Gefühl hast, du stündest auf der richtigen Seite, oben wirst du sehen, wir stehen am selben Punkt, wir treffen uns in der Mitte und dort oben wirst du mir ins Gesicht schauen müssen, spätestens dann. Noch filme ich dich mit meinem Handy, aber du bist so damit beschäftigt, deine eigenen Zehen zu filmen, dass du mich nicht siehst, wie ich neben dir stehe und filme, wie du dich filmst. Ich halte mein Handy hoch und filme dich. Ich kann tanzen und singen, nur um dir zu zeigen, dass ich nicht tanzen und singen kann. Ich kann einen grauen Blazer und darunter Brüste tragen, nur um dir zu zeigen, dass ich existiere. Dass meine Erfahrungen leuchtender sind, als deine Realität.
Die Frau auf der Leinwand fragt: Happy now, motherfucker?, der Herr neben mir steht auf und geht. Ich lache über diesen Zufall und schwebe happy aus dem Schauspielhaus.