Die Repetition
macht süchtig
Die Künstlerin Shirana Shabazi hat die Inszenierung Monkey off My Back or the Cat's Meow von Trajal Harrell besucht, und ihre Erfahrungen des Abends für das Schauspielhaus Journal in einem kurzen Erfahrungsbericht festgehalten. Ihr Text ist ein Loblied jener Gefühle, die sich abseits des analytischen Denkens einstellen, ein Plädoyer für das Erleben, eine positive Nachricht zum Jahresende.
von Shirana Shahbazi
erschienen am 29. Dezember 2021
Ich werde angefragt, einen Erfahrungsbericht über Monkey off My Back or the Cat’s Meow zu schreiben und sage wie selten spontan und freudig zu. Ich habe das Stück bereits dreimal gesehen und denke, es wird ein Leichtes, meine Erfahrungen zu teilen. Während ich aber versuche, mich auf das Schreiben vorzubereiten, drifte ich ständig ab, ich denke in Bildern, recherchiere die Musik und höre die Songs nochmals, kreise im Kopf, nach den richtigen Worten suchend. Ich versuche, mich in die gleiche Gefühlslage zu versetzen, denn Monkey off My Back or the Cat’s Meow ist ein Stück, das vom Erlebnis lebt. Wie schreibt man über ein Stück, das bewusst auf Worte weitgehend verzichtet, das in einem eigenen System funktioniert und mich mit einem anderen Vokabular berührt und erreicht hat. Ich bleibe an der Banalität der Worte hängen.
Die Schiffbauhalle ist mit einem Laufsteg ausgestattet, bestuhlt ist wie bei einer Fashionshow. Beim Eintritt ist die Halle grell beleuchtet. Das Bühnenbild zeigt ein riesig aufgeblasenes Bild von Mondrian, was den Vorteil hat, dass die schwarzen Linien eine klare Laufrichtung vorgeben und dass durch die Farbfelder verschiedene Zonen markiert werden: die Bühne, in ihrer Grösse, wird heruntergebrochen. In der Saisonvorschau lese ich, wie Trajal Harell ganz leichtfüssig über diese Wahl schreibt, sie habe nichts zu bedeuten. Ich schmunzle und fühle mich erleichtert. Ebenso, wenn ich in einem Interview höre, dass er ein Stück über «Nichts» machen wollte aber «gross» sollte es sein. Das «Nichts» ist hier nicht nur gross, sondern grossartig.
Das Stück beginnt. Trajal Harrell spricht als Anna Wintour zu uns, wie sie von ihm gebeten wurde, für sein neuestes Stück zu tanzen. Ja, zu tanzen und nicht zu reden. «Denn wenn man lebend ist, muss man ab zu tanzen.» Wie wahr. In den letzten zwei Jahren wurde selten getanzt, ein sorgloser Zustand stellte sich nicht ein, und vielleicht auch aus diesem Grund bin ich dankbar für die Gefühe, die das Stück auslöst: ein tranceartiger Zustand des Erlebens, des Glücks, der Melancholie, jenseits des analytischen Denkens.
Die Performer*innen treten auf. Einzeln. Fokussiert. Geduldig. Gespannt. Sie laufen das Bühnenbild ab. Geradeaus. Links abbiegen. Wieder geradeaus. Die Musik trägt zur konzentrierten Stimmung bei, bleibt dabei aber trotzdem weich und geschmeidig. Jede*r Darsteller*in hat eine eigene Aura um sich, läuft ganz spezifisch. Alle unverwechselbar, hypnotisierend. Die Repetition macht süchtig. Ich stelle meinen Blick auf Slowmotion und versuche die Details von jedem Lauf- und Tanzstil gleichzeitig aufzunehmen. Die Kostüme sind befreit von jeglichen erwartbaren Konventionen. Ich versuche keine einzige Pose zu verpassen, möchte alles gleichzeitig aufsaugen. Tanz, Lauf, Ausdruck, Kostüme, Musik, Posen, Humor, Ernsthaftigkeit, Eleganz, Trotz, und das alles in fliessenden Übergängen.
Die Ruhe und Spannung des Laufsteges entwickelt sich zu einem kraftvollen Tanz. Jeweils zwei Performer*innen interagieren über Distanz miteinander, an unsichtbaren Fäden verbunden. Es sind wenige Tanzschritte. Alle immer gleich und doch so unterschiedlich. Es wird die «Declaration of Independence» gelesen, geschrien, eine Windmaschine heizt die Stimmung an. Die Kleider flattern, die Blätter fliegen weg, man verliert den Faden im Text. Der Text löst sich auf, doch der Tanz sorgt dafür, dass nichts fehlt. Ich hoffe fast, dass dieses Spektakel kein Ende hat, weil das Gefühl, das dabei vermittelt wird die Lebenssinne weckt, wie schon lange nichts mehr. Es wird wieder ruhig und still. Und weil das Stück doch ein Ende hat, bleibt mir nichts Anderes übrig, als nochmal und nochmal hin zu gehen.
Dass ich in Zürich auf einer grossen Bühne, im grossen Stil, mit so viel Stil und Selbstbewusstsein Stücke sehen kann, in denen sich die Geschlechterrollen auflösen, in denen die Themen der Welt zu uns gebracht werden, empfinde ich als Geschenk. Unsere kleine Stadt wird grösser, jenseits vom Grössenwahn. Laut, schrill, fordernd, offen und zugleich verletzlich und menschlich werden innere Zustände und Gefühle verhandelt. Endlich. Ich frage meine 16-jährige Tochter, mit der ich das Stück gesehen habe, wie sie Monkey off My Back or the Cat's Meow erlebt hat. Sie sagt: «Ich habe mich frei gefühlt.»