Ghosts on a Runway (Part I)

von Katja Brunner
erschienen am 11. Dezember 2019

Eine hochhypothetische Rückübersetzung des Abends von Trajal Harrell in Schriftsprache

eine meditation in zahlen

EIN VERLANGSAMTER TOTENTANZ IN SPRACHE GEGOSSEN

I

Ghosts on a runway

Regel 1: the dead know what they’re doing when they leave this world behind*

Regel 2: Auch wenn so einiges dagegen zu sprechen scheint, können Geister durchaus gewinnen.

Regel 3: Alleine denken ist kriminell

II

die trauernde Amme – ihr sonst gut zugeschlossener Wundgrund bricht auf

III

WIE ICH MIR DEN ABEND VERSPRACHLICHT VORSTELLE – ein fiktives Sprachprotokoll

Was macht dieses Wesen auf der Bühne

Ist es Juliette Gréco
Ist das wirklich Juliette Gréco und warum singt sie nicht
auf der Bühne, was tut diese Juliette Gréco dort im Bühnenlicht

Was ist mit dieser Juliette Gréco dort

Eine griechische Nase und ein Blick, den sie wirft, angefüllt von Zeit, zählbar gemachter Akkumulation von Zeit, ein Blick, der ALTER MENSCH sagt, bevor du überhaupt denken kannst

dann summt sie

Selbst im Summen: Ein Timbre, das ALTER MENSCH sagt, bevor du Deinen Wecker ausschalten kannst

Labor Kanülen Geräte Clinique

Tracks sind Kapseln in der Zeit, denkt der Mann, Dritter von links

Letzten Sommer nahm David Berman den Freitod, er wählte ihn, ich lese ihm Abend für Abend aus der Hand. Er hat eine Abkürzung genommen, die Abkürzung von den Füchsen.

Je me souviens de tout,

sagt die Juliette Greco dort, sie sagt es mit ihrem Körper und ist genauso unverfroren, kathartisch befähigt und barfuss wie die echte Juliette Greco, sie sagt, je me souviens de tout

wie kann man so gelangweilt aussehen so dull und leer gefegt von irgendeinem innerlichen Bewusstsein wie kann man so gelangweilt und leer gefegt in eine Welt hinein schauen

Wenn die Trauer einen im Griff hat – Daumenschraube

Kein Regen

Julia dort tanzt, wirbelt, scherbelt wie ein wirbeliger Wind durch die Gassen zwischen Menschen wie Häusern: Da eine Häuserzeile, dort noch eine, Julia ist hier dieder, dieder den Wind macht mit dem Wind tanzt

LICHTEBENE LÄUFT: SO EINE ART SCHOCKREVUE VIELLEICHT SEHEN SO DIE DREI MINUTEN VOR DEINEM STERBEN AUS SO BLITZEND BLITZHELL SO DIESES VERFAHREN VON WECHSELHAFTIGKEIT WECHSELHAFT BEWÖLKT WIE SEIN GEMÜT ALSO DAS VON DEM DAVID BERMAN DEM ICH ABEND FÜR ABEND AUS DER HAND LESE, IHM SCHIWE SITZE ODER TRAUERRÄNDER ZEICHNE AUF SERVIETTEN, DIE IN DEN BESTAND SEINER FAMILIE GEHÖREN

Eine Ahnung von dem, was nach den tropischen Nächten kommt
Die starrsinnige Abwesenheit von Lederjacken

Was macht diese Juliette Greco dort auf der Bühne, diese neofuturistische Kannibalin deiner selbst

Zusammen alt werden, community based ageing, ich möchte gerne der Boden werden, auf welchem alle tanzen

Jemand denkt:

MACHEN SIE SICH EMPFÄNGLICH FÜR EINE EPIPHANIE

GLAUBEN SIE AN DIE LIEBE

GLAUBEN SIE MIR

PRÄZISIEREN SIE IHR GEFÜHL FÜR EINEN AUFSTAND

KÜMMERN SIE SICH NICHT UM EINLADUNGEN; KÜMMERN SIE SICH MAL UM AUSLADUNGEN

DAS NEGATIVE, WAS IN IHNEN STATTFINDET, lassen Sie es hinausregnen

Lassen Sie es hinausfliessen Urinieren ist Entlastung

IV

VOM ENDE DES TRAUERNS

auftauchen wach werden nach luft schnappen wie nach 3einhalb tausend jahren oder stunden aus einem wasser hervorkommen das einen eingenommen hat das hat mit benommenheit nichts zu tun das war wasser in seiner vollendung die gedanken gehen anders ist man einmal in diesem wasser drin ist man einmal in diesem wasser drin hat man einen verlangsamten denkapparat der spricht langsamer zu einem der formuliert einem die eigene sterblichkeit nicht ins gesicht vielleicht irgendwann einmal auftauchen wach werden nach luft schnappen wie nach 3einhalb tausend jahren oder stunden aus einem wasser hervorkommen.

V

ÜBER DEN KÖRPER, WENN ER ALT GEWORDEN IST

WHOSE BODY IS THIS

Bin schon so weit vom Handeln weg, dass ich davon nicht einmal mehr fingern kann, so weit bin ich weg. Vom Handeln weggedriftet bis ich nunmehr einfach so mich selbst befingere, ein Körper, der meiner nicht mehr ist, ja, wem gehört er eigentlich -

Du, sag mal, wem gehörst du eigentlich.

Du, sag mal, zu wem gehörst du.

Offenbare dich.

Wem gehört mein Körper hier. Den hat hier jemand unachtsam liegengelassen, HALLO HALLO HALLO, hier liegt ein Leib, der hier nicht hingehört, er ist zu nichts mehr Nütze, bloss zum Liegen, Organspende würde ich nicht empfehlen, können Sie den Körper mal durchs CT senden oder durch den Fleischwolf.

Zuerst bitte noch die Gräte entfernen, sonst wird das ungeniessbar. Hallo, eine Ärztin, den Rabbi, ein weisses Tuch, wem gehört dieser Körper hier, den hat hier jemand liegengelassen.

Es kommt keiner. Niemand meldet sich. Ahja.

Möchten Sie nicht so freundlich sein und diesen Körper hier drapieren auf einem Haufen anderer Körper, aber erst noch den Schmuck entfernen, der verdorrt sonst ungesehen und ungenutzt am Körper. Der Körper stammt scheinbar aus einer Zeit des Zahngoldes, interessant. Hämatome wie Blümchenschmuck.

Wo in dieser Anstalt, ich meine in diesem Heim, wo in diesem Heim ist die Heimleitung, man möge sie höflichst und tunlichst benachrichtigen, dass hier ein Körper zu liegen gekommen ist.

Der wird von niemandem gebraucht, geschweige denn eifrig bewohnt und erst recht nicht liebevoll möbliert.

Er hätte auch aufgefunden werden können in einem öffentlichen Verkehrsmittel, der kleine stille Freund von Körper, ein vergessener Handschuh, liegen gelassen, vergessen, ungenutzt und ungewaschen.

Der ist auch gar nicht so genügsam, wie er tut, der Körper hier, der fordert ständig seine Tribute, obschon er nicht preisgeben will, zu wem er dazu gehört.

*Aus: „nights that won’t happen“ von purple mountains