published on 15. December 2023
Dounia Biedermann: Lass uns von vorne anfangen: Wie bist du dazu gekommen, Musik zu produzieren und live aufzutreten?
b: Ein wichtiges Ereignis war die Wahl meines Namens bela und wie ich dann begonn, Dinge unter diesem Namen auf SoundCloud hochzuladen. Das war 2016. Das war eine sehr transformative Zeit für mich, denn ich war gerade an der Universität in Seoul aufgenommen und hatte mich dem Computer-Musik-Club angeschlossen. Es stellte sich leider heraus, dass es eher ein Bandclub war: Man kann keine Computermusik machen, wenn im Raum Schlagzeug gespielt wird. Ich war einfach ein Nerd, der Computermusik im Computermusikclub machte, und es gab einige andere Nerds, die mich glücklicherweise leiteten. Dann begann ich einige Edits und Remixe zu machen, ich hatte auch experimentellere Musik aufgelegt. Ich wurde hauptsächlich als «experimentell» bezeichnet, weil ich alles durcheinandermischte. Schliesslich spielte ich mein erstes Konzert im Cakeshop in Seoul. 2018 wurde ich eingeladen, in Shanghai mit Genome 6.66Mbp aufzutreten, als ich mich noch im obligatorischen Militärdienst in Korea befand.
DB: Ein wenig später wurdest du Mitglied im Sorrow Club Seoul, erzähl darüber!
b: Die erste Sorrow Club-Party war eine Abschiedsparty. Das war 2019, als ich immer noch im Militär war. Es war die erste Ambient-Party in Seoul. Sie konzentrierte sich mehr auf Goth Untertöne und mäandernde Sounds, also kein Ambient im Sinne der Hintergrundmusik für Sonnenuntergänge. Wir hatten in jeder Location eine Installation mit Kerzen und schwarzen Tüchern, die von der Decke hingen. In diesem Sinne war der musikalische Fokus eher experimentell, wenn man so will. Bei der dritten Sorrow Club-Party wurde ich aus dem Militär entlassen und schloss mich dem Team dauerhaft an.
DB: Betrachtest du das Kuratieren von Musik als Teil deiner künstlerischen Arbeit und als etwas, dem du weiter nachgehen möchtest?
b: Oh ja, natürlich! Ich habe das Prinzip entwickelt, dass bei der Organisation einer Veranstaltung so viele verschiedene Menschen wie möglich zusammenkommen sollten. Das ist es, was mich begeistert. Idealerweise schafft dieses Prinzip einen etwas unbehaglichen Raum, der das Zuhören ermöglicht. Wenn man bereits viele Menschen kennt, neigen Veranstaltungen dazu, Gelegenheiten zum Sozialisieren zu sein. Wenn man niemanden im Raum kennt, kann man sich hinsetzen und dem zuhören, was die Künstler*innen gerade spielen. Das ist meine Definition einer angenehmen Veranstaltung. Ich liebe das Gefühl, wenn ich nicht weiss, was ich höre. Ich geniesse das Gefühl, nicht die ganze Zeit «Hallo» sagen zu müssen, obwohl ich einen Raum mit einladender Energie mag. Aber die Musik kann etwas Anderes sein. Ich werde nicht «experimentell» sagen, ich werde eine neue Beschreibung finden: im Gegensatz zur Energie des Raumes stehend.
DB: Wie kam es dazu, dass du nach Berlin gezogen bist?
b: Im Mai 2022 hatte Nick Klein, der das Label Psychic Liberation betreibt, seine erste Labelnacht im Arkaoda. Das war, als ich das erste Mal in Berlin aufgetreten bin. Ein Freund hatte Musik auf Psychic Liberation veröffentlicht, und so kam ich dazu, aufzutreten. Von dort hat sich vieles ergeben. John Twells hat mich dem Kurator*innenteam von Unsound in Krakau empfohlen, und sie haben mich last minute im Juni gebucht. Ich musste bis Ende Juni nach Korea zurückkehren, weil ich bereits fast 90 Tage in der EU verbracht hatte. Ich wollte die Zeit in Europa bis zur letzten Sekunde geniessen. Ich dachte ursprünglich, es gäbe keine Möglichkeit, jemals hierher zu ziehen, aber mein Freund sagte mir, dass es für jemanden mit einem südkoreanischen Pass ziemlich einfach sei. Das gab mir die Motivation, den Visumsantrag ernst zu nehmen: Visumsschreiben, Tausende von Menschen für Bürgschaften anschreiben und so weiter. Im September kehrte ich nach Berlin zurück, meldete mich Anfang Oktober an und erhielt einen Monat später eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Der Umzug ergab Sinn, weil Musiker*innen hier viel besser bezahlt werden. In Südkorea hätte ich mich nicht einmal getraut, nach Seoul zu ziehen, weil die Lebenshaltungskosten für Künstler wie mich viel zu hoch sind.
DB: Als Musiker*in, die als «experimentell» bezeichnet wurde, wie kam es dazu, dass du eher traditionelle und «mainstream» 풍물 [pungmul]-Rhythmen in deine Musik eingebunden hast? Hat dich diese Musik schon immer interessiert oder war sie in irgendeiner Form Teil deines Lebens?
b: Grundsätzlich lernt jedes koreanische Kind in irgendeiner Form 장구 [janggu]. Es ist eine beidseitige Trommel, die auf beiden Seiten anders klingt. Die rechte Seite klingt leicht wie eine Ohrfeige, und die linke Seite hat einen resonanteren Klang. Ich habe tatsächlich schon als Kind gelernt, 장구 [janggu] zu spielen, zusammen mit meinem Freund, dessen Vater Lehrer für traditionelle koreanische Musik war. Auf eine Weise war es etwas, das ich früh im Leben gewählt habe. Ausserdem sieht man es oft im Fernsehen. Wenn es ein Fest gibt, spielen die Leute 장구 [janggu]. Es ist im Grunde dasselbe Instrument, das für jede Musik ausser die königliche Ritualmusik verwendet wird. Aber für Volksmusik ist 장구 [janggu] die Norm, und jede*r kennt mindestens einen musikalischen Satz in 장구 [janggu]. Wir haben eine Art, die verschiedenen Schläge in 장구 [janggu] auszusprechen, weil jede Technik anders klingt: 덩 [Deong] beschreibt beide Seiten zusammen, weil es wirklich resonant klingt; es macht einen «덩Deong»-Klang Und 쿵 [Kung] wäre nur die linke Hand und 따 [Tta] wäre die rechte Hand; 따 [Tta] ist leichter. Zum Beispiel gibt es eine Linie namens 별달거리 Byeoldalgeori: und sie wiederholt sich 덩 덩 쿵 따쿵 Deong Deong Kung Tta Kung [gemäss den koreanischen Regeln der Romanisierung].
DB: Die Fähigkeit, ein Instrument zu artikulieren, auch mit Regeln über die Schreibung und die spezifischen rhythmischen Linien, spricht sehr für ihre traditionelle Bedeutung und wie verbreitet sie ist. Diese Klänge als Instrumentals zu verwenden, sie zu verzerren und sie dann – wenn man an deine Live-Performance denkt – mit intensiven von Metal und anderen extremen Genres inspirierten Stimmverzerrungen zu kombinieren, spiegelt sehr deutlich deinen Wunsch nach gegensätzlichen Energien wider. Und zeigt auch, wie gut das für dich funktioniert.
B: Das habe ich auch nicht erwartet. Anfang 2020 habe ich einige Tracks mit koreanischer traditioneller Musik als Basslinie gemacht. Ich habe wirklich nicht daran gedacht, sie überhaupt aufzuführen, es war einfach produzierte Musik. Schliesslich schickte ich die Demos an Éditions Appærent in Montréal, einem damals neuen Label, und sie entschieden sich, sie als Album zu veröffentlichen: die Guidelines EP. Das Tape erhielt positive Aufmerksamkeit, und dann meldete sich das Rewire Festival. Das war der Zeitpunkt, an dem ich erstmals über eine Performance nachdachte, denn ich wurde als Musiker*in eingeladen, nicht als DJ. Was ich nicht tun wollte, war, Knöpfe auf MIDI-Controllern zu drücken. Ich konnte sie mir sowieso nicht leisten. Das war der Zeitpunkt, als die Idee entstand, über die Instrumentals zu knurren. Für Rewire entwickelte ich meine erste von extremem Metal inspirierte Performance. Ich habe ein wenig Metal gehört, als ich aufgewachsen bin. Ich dachte mir, was wäre, wenn ich extremen Metal-Gesang mit 풍물 [pungmul] im Genre der elektronischen Musik kombiniere?
DB: Obwohl es oberflächlich betrachtet aggressiv erscheinen mag, kann man zwischen den Schichten während deiner Aufführungen etwas Anderes spüren, eine tiefe Ruhe. Besonders da die von dir vorgetragenen Worte aus einem Buch gelesen werden, das wie ein Tagebuch aussieht. Korrigiere mich, wenn ich mich hier irre.
B: Das Tagebuch... ich mochte nie Kunstwerke, die Tagebücher einbezogen. Aber in einer Performance, dachte ich, könnte es funktionieren: Ich habe dieses Notizbuch als Tagebuch benutzt und brauchte auch ein Textbuch, also erfüllt es jetzt einen doppelten Zweck. Es gibt Teile meiner Liveshow, die grösstenteils ohne Beats sind. Das ist der Moment, wenn ich den Tagebuch lese und verschiedene Stimmtechniken ausprobiere. Es macht einen grossen Unterschied in einer Aufführung, etwas abzulesen. Weil man die Wahl hat, was man liest, und auf eine bestimmte Weise improvisieren kann.
DB: Die Worte, die du liest, spielen also eine Rolle für uns – und für dich?
B: Emotional versetzen sie mich an verschiedene Orte. Es hilft mir, sie zu performen, denn ich könnte den Inhalt niemals öffentlich machen, bzw. einfach nur sprechen. Ich wähle alle möglichen verschiedenen Stimmen, abgesehen von einer erkennbaren Sprechstimme: Flüstern, Knurren, Kreischen, Einatmen. Das hilft mir, die Emotionen hochzubringen, die ich hatte, als ich diese Musik gemacht habe. Die Aufführung braucht einen Katalysator. Ich möchte den Menschen zeigen, woher das alles kommt. Also, als du von tiefer Gelassenheit gesprochen hast ... das ist es, was ich hier drin habe [zeigt auf den Kopf]. Es ist ein 한풀이 [hanpuri]: 한 [Han] ist eine sehr starke koreanische Emotion. Das ist, woher du vielleicht Gelassenheit spürst, denn es ist Wut, die sich in Traurigkeit verwandelt hat, die sich in eine merkwürdige Gelassenheit bei den Menschen verwandelt hat. 풀이 [Puri] ist der Versuch, das zu entwirren. Diese Emotion entwirren ...
DB: Woher kommt die Wut, die entwirrt werden muss? Es war irgendwie ein fortwährendes Thema unseres Gesprächs: Sorrow Club, Traurigkeit und Wut. Es gibt auf diesem Planeten im Allgemeinen viele Gründe, wütend zu sein. Wogegen wütest du? Oder genauer gesagt, worum geht es in deinem 한풀이 [hanpuri]?
B: Ich denke, das wird ein ähnliches Problem für viele jüngere Generationen und weibliche und queere Menschen auf der ganzen Welt sein. Südkorea ist ein konservatives Land, und die Kluft zwischen Arm und Reich ist spürbar. Ich werde hier nicht ins Detail gehen mit der Nachkriegs-Wirtschaft und der sozialen Geschichte Koreas, aber es besteht weitgehend Konsens, dass Südkorea ein verfluchtes Land ist, unabhängig von der politischen Haltung. Nicht um hier zu behaupten, dass irgendjemand aufgegeben hat, aber der Kampf, dieses scheiternde Land zu überleben, ist ein so lebendiges Bild. Alte arme Menschen, die immer noch wählen können, sind oft extrem konservativ und verehren die Reichen. Die jüngere, männliche Generation wird online darauf gedrillt, rücksichtslos und extrem rechts zu sein. Wir nennen ihn ein Einhorn, wenn einer anständig wird. Inmitten all dem leidet die arbeitende Klasse und queere Jugend am meisten. Selbstmord ist ein nationales Thema. So viele von uns sterben. Wir sind es leid, das als strukturelles Problem zu bezeichnen. Den ganzen Tag lernen wir Dinge im Bildungssystem, die für die echte Politik unserer Körper oder für ein besseres Leben nichts bedeuten. Wir werden diskriminiert und eingesperrt, bis zum Ende. Es beginnt mit Frustration, aber diese Emotion nimmt langsam eine andere Form an. Eine Art Depression, nicht ein Gefühl des Verlusts oder der Verweigerung, sondern dieses blockierte Gefühl der Stasis. Ich wollte dem nachspüren und das in einer Performance auf eine ehrliche Weise ansprechen. Es ist nicht die Wut gegen die vage Struktur oder das System, sondern komplexe Emotionen gegen die tatsächlichen Menschen, die die Unterdrückung jetzt ermöglichen...Aber die Wut darf nicht einfach in Wahnsinn enden, sie muss eine Lösung zeigen, um präzise zu sein. Meine Queerness, Trauma und Introspektion zentrieren mich. Mein 한풀이 [hanpuri] performe ich für die, die sich abrackern, die sich nicht Outen dürfen, die Dehumanisierung und Isolation erlebt haben. Ich habe den Namen bela auch gewählt, um nich nicht öffentlich outen zu müssen... damit niemand aus meiner Familie von meiner Musik oder meinen Aktivitäten erfährt. Es ist so kompliziert, wenn deine eigene Familie, dein Land und die Gesellschaft dich hassen, ohne zu realisieren, was das bedeutet. In Seoul haben mir einige Leute erzählt, dass sie während meiner Show geweint haben. Ich möchte diese Performances eines Tages nach Hause bringen - mit viel Kontext, ohne dass sie ihre Bedeutung verlieren und wenn ich es mir leisten kann.
DB: Einen Weg zu finden, sich gegen einen fortwährenden existenziellen Kampf zu behaupten, ist mutig... Und vielleicht die einzige Option zum Überleben. Ein echtes 한풀이 [hanpuri].
B: Sobald du herausfindest, was dich leiden lässt, kannst du es dir zu Nutze machen.