by Philipp Meier
published on 28. June 2022

Vor wenigen Monaten wurde ich geschlagen und bedroht. Am helllichten Tag. In der Kaffeebar meines Vertrauens. Das Milieu, aus dem heraus der Angriff stattfand, wird im Stück Der Vater erst mit den letzten Klängen des Männerchors thematisiert. Weitere Details werde ich hier nicht ausbreiten. Denn so wirkt Gewalt meistens: Sie würgt konstruktive Debatten ab.

Umso dankbarer nahm ich die Einladung vom Schauspielhaus an, mir zu den Themen der toxischen und fragilen Männlichkeit ein Stück anzuschauen, um anschliessend meine Gedanken etwas zu ordnen. Mich beschäftigt dieses Thema schon länger und es wäre viel zu einfach, es auf das zu reduzieren, was ich vor kurzem erlebte.

In meiner Jugend machte ich mich früh auf die Suche dessen, was Männlichkeit sein könnte. Ich ging als Junge vom Dorf ins Ballett. Was das bedeutet, wissen nur Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind. Daneben war ich erfolgreicher Jungschütze und besuchte im Nachbardorf fasziniert Motocross-Rennen. Heute lebe ich diese (vermeintlichen) Widersprüche unter anderem als FCZ-Fan und Feminist.

Mit diesem Background liess ich mich durch das Stück Der Vater treiben und halte bruchstückhaft fest, was mir dabei spontan durch den Kopf ging:

«Boys don’t cry»

Quasi als Teaser zu meinem Besuch im altehrwürdigen Pfauen-Saal erhielt zufälligerweise erhielt ein paar Stunden vor der Premiere von Der Vater ein älteres Bild in meinem Instagram-Account ein Like, das ich irgendwo im Internet fand (sorry, versuche ansonsten wo immer möglich bei Reposts die Quelle zu verlinken).

«Angry, old, white man»

Als Annäherung ans Thema wies mich meine Begleiterin im Foyer des Pfauen darauf hin, dass eine Pressekonferenz zur (fehlenden) Aufbereitung der Bührle Sammlung im Kunsthaus schräg vis-a-vis am Heimplatz so auf sie wirkte, als ob ein «Boys-Club» privilegierter, alter, weisser Männer eine Waffenhändler-Kunstsammlung verteidigen wolle. Damit bringt sie auf den Punkt, was diese «Angry, old, white men» besonders «auszeichnet»: Gänzlich fehlende Selbstreflektion und -kritik. Für sie besteht die Welt genau so, wie sie sie sehen. Sie wurden nie damit konfrontiert, dass die Welt auch noch ganz anders wahrgenommen wird.

«Wokeness»

Widererwarten sorgt Der Vater für erstaunlich viele Lacher. Am ärgerlichsten waren sie jedoch dort, wo die Tochter des Vaters die Grundsätze einer woken Generation rezitiert. Ich empfinde es als äusserst schmerzhaft, wenn über die kritische Reflektion der Jugend gelacht wird. Weil ich jedoch selber lachen musste, und mich auch fragte, ob es überhaupt Absicht ist, dass das Publikum an dieser Stelle lacht, begann ich darüber nachzudenken, was Lachen (in solchen Situationen) bedeutet. Oft wird dadurch nämlich Unsicherheit überspielt, respektive eine gewisse Überlegenheit oder Bestätigung suggeriert.

Beim Nachdenken über diese Lacher wurde ich jedoch (leider) auch daran erinnert, dass ich in der Vergangenheit oft mitlachte, wenn andere Männer sexistische oder homophobe Sprüche machten. Dieses Lachen war meistens von der Unsicherheit getrieben, nicht zu wissen, wie ich angemessen darauf reagieren könnte, respektive, um mich nicht exponieren zu müssen. Denn, egal ob Fussball-Fans oder Freunde edler Kunstwerke; der Gruppendruck kann in solchen Boys-Clubs enorm gross sein. Umgekehrt darf dies jedoch keinesfalls eine Entschuldigung sein. Ich versuche immer öfters, zu intervenieren, oder wenigstens, nicht mehr mitzubrüllen oder -zulachen.

«Den gordischen Knoten zerschlagen»

Dieses Sprichwort taucht irgendwann im Stück auf und ich habe mir zuvor noch nie dazu Gedanken gemacht, wie es in gewissem Sinne toxische Männlichkeit verherrlicht: Auf einen Schlag sollen alle Probleme gelöst werden. Wow, wie verlockend! Zack und alle Probleme sind weg!

Um ehrlich zu sein: Ich gehe so gut wie nie ins Theater, weil ich meistens das Vorgetragene viel zu bemüht finde. Aber genau ein solches «Augen öffnen» würde ich mir vom Theater wünschen. Ich sollte mich künftig öfters darauf achten, wie etablierte Sprichwörter geframed sind, und wie sie auch noch verstanden werden können.

In einer Szene trägt ein Schauspieler vor seinem Kopf ein Gemälde, das als Sinnbild für die Bezeichnung «erweiterter Suizid» stehen kann. Die Formulierung verharmlost die Morde, die vor solchen Selbsttötungen verübt wurden. Es ist teils haarsträubend, wie im Journalismus noch heute unbedacht alle möglichen Framings benutzt werden. Umgekehrt ist es jedoch spannend, anhand dieser Rahmungen herauszufinden, wie das Patriarchat Sprache und dadurch das Denken prägt. So gesehen kann der «erweiterte Suizid» das Schwert sein, das auf einen Schlag den gordischen Knoten durchtrennt. Ein «Familiendrama»! Auch so eine verharmlosende Formulierung. Weil in solchen Kontexten neben vereinzelten Kindern vor allem Frauen Opfer sind, etabliert sich langsam die Formulierung «Femizid».

«Was soll aus dem Kind werden?»

In unserer Familie wars genau umgekehrt: Meine Mutter war stets bemüht, dass aus uns Kinder «was Richtiges» wird. Es gab jedoch deswegen zwischen meinen Eltern glücklicherweise nie Streit. Und auch wenn ich gewisse Karriere-Schritte verkackte – zum Beispiel damals die Aufnahmeprüfung zum Landschaftsarchitektur-Studium – wusste ich, dass mich meine Eltern trotzdem lieben. Das ist definitiv ein Privileg, das bis heute nachhallt.

Umgekehrt frage ich mich heute, ob ich bei der Erziehung meiner Kinder alles «richtig» mach(t)e. Diese Frage beziehe ich weniger darauf, welche berufliche Karriere meine Kinder einschlagen – beide steigen mit einer soliden Berufslehre ins Erwachsenenleben ein. Ich frage mich viel mehr, welche Rolle ich als Vater gegenüber meiner Tochter und meinem Sohn einnehme – respektive, wie ich sie in gewisse Gender-Rollen und -Bilder dränge oder ihnen dabei helfe, aus solchen auszubrechen. Dies zu reflektieren ist aktuell insofern nicht einfach, weil sie beide mitten in der Pubertät stecken. Wie können sie sich an einem doch eher «super woken» Vater reiben, wenn nicht mit sexistischen Bemerkungen, einem antisemitischen Ausruf mit einem Lächeln auf den Stockzähnen oder dem Brechen der wenigen Regeln? Da bleibt einzig das Vertrauen, dass davon nichts hängen bleibt.

«Entweder reden Männer zu wenig oder dann zu laut»

Manchmal leide ich am Widerspruch, dass im Feminismus mit dem Hinweis auf Probleme, diese in gewissem Sinne gestärkt werden. Das ist ja bei Kritik grundsätzlich ein Dilemma. Es ist also schwerlich möglich, Männlichkeit zu problematisieren, ohne sie dadurch zu betonen. Im Prinzip sollte eigentlich das Ziel sein, möglichst viele Formen von Gender zu ermöglichen. Im Feminismus ist jedoch der Fokus oft aufs Binäre fixiert, wodurch es betont wird. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte höchstens sein, unter anderem die Systeme Patriarchat und Klassen zu problematisieren.

«Wirtschaftliche Abhängigkeiten»

Die finanziellen Abhängigkeiten von Frauen gegenüber Männern sind längst kein Geheimnis mehr. Sie bestehen teils nach wie vor, obwohl es längst auch ein gesellschaftliches Credo ist, dass Frauen finanziell möglichst unabhängig sein sollten. Wenn jedoch gleichzeitig viele Berufe, in denen vornehmlich Frauen tätig sind, (viel) schlechter bezahlt werden, als klassische Männerberufe, dann wird offensichtlich, dass es ein strukturelles Problem ist. Und wenn dann auch noch Menschen ohne Schweizerpass dasselbe Schicksal teilen, dann ist es eben auch eine Frage der Klasse, in die jemand reingeboren wird. Dieser Umstand greift der «privilegierte weisse Feminismus» viel zu selten auf.

«Strukturelle Gewalt»

Im Prinzip ist es ein Einfaches, offensichtliche Gewalt zu verurteilen. Und es ist auch wichtig, dies zu tun – egal, ob es bei der Oskar-Verleihung vor der Weltöffentlichkeit geschieht, oder quasi im Versteckten, wie in meinem Fall. Es darf jedoch nicht davon ablenken, dass vieles anderes auch Formen von Gewaltanwendungen sind. Sprache kann verharmlosen, unterdrücken, stigmatisieren oder ausgrenzen. Auch Gentrifizierung ist eine Form von Gewalt. Der Zwang, zum Überleben Geld verdienen zu müssen, sorgt dafür, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Männer werden dazu gezwungen, «das Vaterland» verteidigen zu müssen, und beim Zählen der Toten werden «zivile Opfer» viel stärker beklagt, als der Tod von Armeeangehörigen. Und im Prinzip ist auch noch in vielen Milieus das Unterdrücken von Gefühlen ein Zwang, der Jungen von klein auf beigebracht wird. Boys don’t cry!

Aus dieser Warte kratzt Der Vater nur an der Oberfläche. Immerhin wird darum herum einiges an Reflektion geboten (z.B. erhellende Gespräche im Programmheft). Diese halte ich für mindestens so wichtig, wie das eigentliche Stück. Leider verstehen sich Theaterhäuser jedoch (noch) nicht als Medienhäuser.