by Dominik Dusek
published on 18. May 2021
Ein Livestream aus einem Theater. Aus dem altehrwürdigen Pfauen. Wie mag so etwas anfangen? Wie wird der Einlass ersetzt, die hoffnungsvolle Anspannung? Es ist einfach, aber grandios gelöst. Ich schalte mich zu und sehe schon ein Bild. Ein verschwommenes Bild mit Blick vom hinteren Ende der Bühne bis in den Zuschauerraum. Jazzige Musik mit Raum zwischen den Tönen wird gespielt, links scheint eine Gestalt an Keyboards zugange zu sein. Hinten zeichnen die feudalen Sitzplätze, von Parkett bis Balkon, ein pilzartiges Muster. Da geht gleich was los, denke ich, noch ist alles geheimnisvoll, aber gleich geht was los. Der Freund der Psychedelik in mir ist gut angesprochen. Dann ein harter Schnitt, plötzlich sehe ich alles von vorne, der Keyboarder ist der Regisseur und erklärt den 50 Menschen im Theater und den Zuschauer*innen vor den Bildschirmen, worum es geht. Irgendwie schade. «Ich bin begeistert und verbitte mir blöde Erklärungen», hat Max Goldt einmal geschrieben.
Eine Liedrevue zum Thema Corona steht an, das wusste ich ja schon, und ich wusste auch, dass ich da mit gemischten Gefühlen reingehe. Seit Monaten vermeide ich weitestgehend die Nachrichten, weil mir das Thema zum Halse heraushängt. Und weil ich mich so leicht aufrege. Das Thema hat überhaupt das Potential, ein gerüttelt Mass an Menschen aufzuregen. Ganz egal, was man macht oder sagt, irgendwer regt sich immer auf. Hoffentlich nicht ich, denke ich. Ausserdem: Schauspieler machen was zu Corona? Da war doch grad was. Die Netz-Aktion #allesdichtmachen. Die wurde fett attackiert, und sie wird auch in Corona Passionsspiele Vol. 4 klar ins Eck der «Nazi-Hippies», wie es in einem Lied heisst, gestellt. Und da muss ich doch bereits darauf zu sprechen kommen, dass ich mich gelegentlich über die Theaterproduktion aufgeregt habe. Dumme Prolos aus dem deutschen Osten anzuficken, mit Zeilen wie «Drosten, Drosten, geh doch in den Osten / Ach nee, geht ja nicht mehr, da kommen ja wir her», ist unterste Schublade. Warum überhaupt klarstellen, dass man selber kein «Nazi-Hippie" ist? Weils Stoff für Schenkelklopfer-Gags hergibt? Für Aluhut-Parodien?
Das Ensemble der Passionsspiele besteht ganz klar nicht aus Nazi-Hippies. Es sind tolle Lieder zu hören, die von der klammen Ahnung erzählen, dass «das jetzt immer weitergeht», dass «da kein Horizont» ist, dass man sich einreden könnte, Plexiglas echt geil zu finden, weil es einen «vor Umweltschmutz» schützt. Also ungefähr das, was auch die meisten bei #allesdichtmachen gesagt haben. Das Plexiglas-Lied ist ein zitatreiches Stück im Neue-Deutsche-Welle-Stil, das gut reinfährt. Atmosphärisch hervorragend ausgestaltet sind auch die Lieder der drei Viren-Frauen und die nordwindkalten und doch wirbeligen Warnungen vor dem ultimativ Bösen, «der Mutation». Was Kunst betrifft, bin ich Psychedeliker, wie gesagt.
Ich merke, dass dieser Erlebnisbericht leider stark inhaltslastig ausfällt. Gerne hätte ich nur über die Schönheit oder das Wilde der Musik geschrieben, über die Freude, mal wieder eine Gibson-SG-Gitarre zu sehen und Kabel, die rumliegen. Da gab es ja auch genug Anregung für. Aber es wurde in 80 Minuten Theater nun mal viel angesprochen. Die einsamen Alten, die egoistischen Alten, die Rekordgewinne mancher Branchen, das sinnlose Tweeten, das Unbedingt-feiern-Wollen, das Impfen, alles bereits weiter oben Genannte. Vielleicht, vielleicht, denkt der Plexiglas- und Vereinzelungs-Hasser in mir, wäre weniger mehr gewesen. Andererseits sind die Passionsspiele eben Revuen, mit Prog-Rock, Blues, NDW, Boogie, Folkigem und Klavierballaden wie aus der zeitgenössischen Klassik. Nur eine Frage muss hier noch her: Ist es klug, in Zeiten des sogenannten information overload, der allzu häufig nur ein data overload ist, alles so vollzupacken? Noch diese Sicht, noch dieser Gag, noch diese Haltung? Ich weiss es nicht.
Der Schluss von Vol. 4 aber ist ähnlich grandios wie der Anfang. Eine lange Pause, eine Frau tritt nach vorn, man denkt, da kommt noch was, aber die Pause ist so lang, dass man sich nicht sicher ist. Und dann wird ein Akkord ins Klavier gehauen, die Frau ist Mezzosopranistin und singt ein todtrauriges Lied über das Sterben der Sehnsucht in der Ruhe, im pace terrificante, wie es Fabrizio de André einmal genannt hat. «Man schläft ruhig ein, wacht ruhig auf / und wundert sich, dass man doch nicht froh ist» – so etwa heisst es, und dann bricht alles ab. Der Bildschirm ist grau, der Abspann läuft. Ich bin raus. Ich bin nicht im Raum, wo es passiert. Ich bin daheim im Bett. Ich habe die Luft im Pfauen nicht gespürt, sie nicht gerochen, die Schallwellen, die sich durch sie fortgepflanzt haben, haben mich nur über Kopfhörer erreicht. Ein hartes Ende. Es funktioniert nur im Stream so, es funktioniert hervorragend. Und das sage ich nicht gerne, weil mir das ständige Preisen des Streamens als «kreative Lösung» schwer auf die Nerven geht. Rekordgewinne werden damit in Technologiekonzernen erzielt, ganz unkreativ. Das war dann am Schluss noch ein letztes Mal die gute Aufregung, die mir die Passionsspiele gebracht haben.