Tender Talk Nr. 2
Black Cracker & Laurie Penny

by Anna Rosenwasser
published on 02. March 2021

Don’t Mistake Tenderness for Weakness

Laurie Penny ist hässig. Mega hässig. Seit Jahren hässig, von Beruf hässig. Ich weiss das, weil ich ihre Bücher lese. Penny ist hässig aufs Patriarchat, auf die Cis-Hetero-Norm, auf den Kapitalismus. So hässig sein von Beruf könnte ich nie, ich bin lieber von Beruf lieb und privat hässig.

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In dem Moment, in dem ich Laurie Penny zum ersten Mal sprechen höre, während des Tender Talk #2 vom Schauspielhaus, weiss ich: Bei ihr ist es umgekehrt. Die feministische Autorin hat sich kürzlich die kurzen Haare blondiert, erzählt sie mit einer Stimme, die höher ist, als ich es erwartet hätte. (Ist das sexistisch? Überrascht zu sein, wenn badass Feministinnen eine hohe Stimme haben?) Bei Penny ist alles hell und weich im Bild. Ihr Gesprächspartner Black Cracker hingegen filmt sich in einem Raum, dessen Dimensionen man sich sehr lang ansehen kann, ohne zu verstehen, was davon Projektion und was fix ist. Vor dem Gespräch spielt er mit einer spitzen Schere; es sieht seltsamerweise elegant aus. «Ich will jede Perspektive einnehmen, den längsten Weg nehmen zum schönsten Bild», sagt der Orchesterchef ganz am Anfang des Gesprächs. Man glaubt es ihm sofort.

Laurie Penny und Black Cracker kennen sich nicht. Wirklich fest nicht. Penny schreibt Bücher; Cracker hat seit 16 Jahren kein Buch gelesen, erzählt er, «als Strategie, um intuitiv zu bleiben.» Penny macht verständnisvolle Gesten. Sie wiederum geht selten an Konzerte, hört nie konzentriert Musik. Black Cracker nickt. Es ist ein fürsorgliches antasten aneinander, dieses Gespräch. Manchmal klingt es, als wäre ein Übergang abrupt, bis sich erschliesst, woher er kommt. Als Penny freudig erwähnt, dass sie gern kifft, fragt Cracker nach ihrem Verhältnis zu ihren Eltern. Erst, als sie sich gemeinsam darüber unterhalten, wird klar, dass er damit eine Perspektive zu ihrer Aussage schaffen will. «Meine Eltern sind Pflichtverteidiger», antwortet Penny. «Ich kiffe nur dann, wenn es legal ist. Nicht wegen dem Gesetz – sondern wegen meiner Mutter.»

Natürlich geht es bald darum, was die pandemischen Zeiten mit den Beiden anrichten. Cracker strahlt plötzlich. «Das Jahr war fantastisch», sagt er. «Im Jahr zuvor hatte ich starke Angstzustände. Das Zuhausebleiben ist super für mich.» Man hört ihm die Erleichterung an. Cracker sagt von sich, er sei komplett unmusikalisch – «I can’t hold a note in my life!» –, seine Stärke sei das Performen. Und doch: Dieses Zuhausebleiben, das tat ihm wahnsinnig gut.

Penny hingegen ist mehr steckengeblieben. In einer zu kleinen Wohnung in Los Angeles mit Musiker*innen, die sie zwar mag, mit denen zusammen die Räumlichkeiten aber sehr eng wurden. Das bewog Penny dazu, so viel Geld auszugeben wie nur selten: für Kopfhörer. «Shiny headphones», wie sie sagt. Sie sagt es kichernd, wie sie oft kichert in diesem Talk. «Die Ausgabe hat sich gelohnt», ist ihr Verdikt; mittlerweile ist sie allerdings ein paar Strassen weitergezogen, immer noch in Los Angeles. Die Stadt sei seltsam, erwähnt Penny mehrmals. Sie beschreibt, wie ihr Status, den sie in Europa hat, unsichtbar ist an der Westküste der USA: «es ist wie Ferienmachen vom Berühmtsein. Buchhandlungen hier führen meine Bücher vielleicht knapp – aber wenn du nicht in einem Film mitgespielt hast, zählt deine Berühmtheit eh nicht.» Das scheint Penny nicht zu stören. Sie klingt nicht nur amüsiert, als sie erzählt, was ihre «Nano-Berühmtheit» in ihrem Zuhause England mit sich bringe: «Du könntest beim Busfahren erkannt werden. Aber du bist noch immer darauf angewiesen, den Bus zu nehmen.»

Wenn Cracker von Orten spricht, spricht er weniger von Berlin, wo er jetzt lebt. Er erwähnt auch Zürich nur kurz, wo er kurz in der Jazz Community mitmischte. Erst bei New York City spürt man seine Bewegtheit. «Nach der Kunstschule ging ich nach NYC», berichtet er, «und die Kommerzialisierung von Kunst dort traumatisierte mich.» Zu sehr habe zudem sein Körper eine Rolle gespielt – «dass du Afroamerikaner bist?», fragt Penny, und er nickt –, also stolperte Cracker in die Poesie. Jahrelang war er Teil der Spoken-Word-Szene, war Teil von Poetry Slams. Machte auch Bildungsarbeit an High-Schools, gleichzeitig Musik. «Ich wollte Musiker werden, weil es da mehr Frauen gab als in der Poetry-Szene», lacht er kopfschüttelnd, und Penny wirft grinsend ein, sie kenne viele Slammerinnen. Dann bleibt Crackers Bild kurz stehen. Penny nimmt es gelassen und geduldig.

In die Poesie ist Cracker also nach eigenen Angaben gestolpert. Und in die Opernwelt hineingefallen, «I fell into opera. Gleichzeitig stand ich immer wieder vor der Frage: Mach ich das gerade, weil ich will? Oder weil mir eine Gelegenheit gegeben wird, die ich ergreifen sollte?» Es schien beides zu sein.

Was Penny und Cracker in diesem Tender Talk tun, ist mehr Pingpong als Paartanz: Der Ball landet immer wieder auf der anderen Seite, aber eben mit Distanz. Penny schmunzelt beim Zuhören, Cracker nickt oft sehr vehement. Erst, als das Thema Nähe aufkommt, finden sie eine gemeinsame Dynamik. Als Penny den Gedanken äussert, dass Männer gewissermassen sexuell unterdrückt werden, weil hetero Typen oft nur im Kontext von Sexualität Nähe erleben und sich öffnen dürfen, ist Crackers Nick-Game nahezu ausser Kontrolle. «Aber gleichzeitig gibt es mehr Intimität zwischen Männern, als man meint», wirft er ein, «sie ist einfach weniger sichtbar gegen aussen.»

Das Gespräch über Nähe bringt fantastische Lockdown-Geschichten zutage: Penny hat via Zoom ihren australischen Freund geheiratet, um ihn wieder sehen zu können. «Unser erstes Date dauerte drei Monate», erzählt sie heiter.

Wenn das kein Tender Talk ist: Als es um Nähe geht, finden die beiden unterschiedlichen Gesprächspartner*innen zusammen. Und als hätte sie meine Irrititation über ihr Nicht-Hässigsein gespürt, sagt Penny zum Schluss: «Don’t mistake tenderness for weakness. Zärtlichkeit ist eine Form der Kraft. Und Leute haben Angst davor.»