by Elsa Horstkötter
published on 14. January 2021
Tobias Distel
3. Sek, Schulhaus Buhnrain, Zürich
Fächer: Deutsch, Englisch, Geschichte, Bildnerisches Gestalten, Theater-AG
Unterrichtet seit: 2007
Traumberuf der Kindheit: Schauspieler
27. November 2020, 10.20 Uhr, Greta in der Aula des Schulhaus Buhnrain
Alina, Betty und Claudio stürmen den Unterricht der Klasse 3Ab von Lehrer Tobias Distel. Vor seinen Schüler*innen liegen 45 Minuten Theater hautnah, denn Alina, Betty und Claudio sind Spieler*innen des Stücks Greta. In Greta wird es um drei Freunde gehen, die auf dem Weg zum Klimastreik sind und an die 3Ab appellieren, mitzukommen. Die Aktivistin Alina ist eine Kämpferin, hochmotiviert, streikerprobt und redegewandt. Die Influencerin Betty mag ihr Zuhause an der Goldküste nicht besonders, darum ist sie eher auf Instagram daheim. Und Claudio? Was er denkt und meint, weiss er selbst noch nicht so genau.
Q: Normalerweise hätte Greta im Klassenzimmer und ohne Vorahnung seitens der Schüler*innen stattgefunden. Corona-bedingt sind Sie aber bereits kurz vor dem Erscheinen der Spieler*innen mit Ihren Schüler*innen in die Aula gewechselt. Hat da nicht schon der eine oder die andere Verdacht geschöpft, dass an diesem Freitagmorgen noch etwas Überraschendes passieren wird?
A: Nein, sie haben tatsächlich nichts vermutet. Eine spontane Raumänderung ist seit Corona schnell erklärt, von daher war der Überraschungseffekt auf jeden Fall da. Einzig vom Pausenhof aus, hat ein Schüler jemanden oben in der Aula etwas ausprobieren sehen, dass ist aber erst im Nachhinein zu mir durchgedrungen. Als die Spieler*innen in die Aula gestürmt sind, haben die meisten erstmal geschaut, wie ich reagiere. Ich habe am Anfang noch versucht, überrascht zu reagieren und einen empörten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Als allen klar war, das sind Schauspieler*innen, wurde gebannt zugeschaut. Einzelne haben sich auch relativ schnell untereinander ausgetauscht. Für mich war vor allem interessant, dass manche Schüler*innen, bei denen ich gedacht hatte, die fasziniert das auf jeden Fall, ein Abschweifen gemerkt habe und bei anderen war es dann genau umgekehrt.
Q: Greta ist mit dem Inhalt «Klimastreik» sehr aktueller Stoff. Warum haben Sie das Stück in Ihre Klasse geholt?
A: Wir hatten Anfang 2020 einen Nachhaltigkeitstag und in dem Rahmen haben die Schüler*innen Videoclips zu verschiedenen Umweltthemen gedreht - unter anderem zum Klimastreik und zu Greta Thunberg. Dann war Greta Thunberg auch noch in einem englischen Magazin, das die Schüler*innen im Unterricht lesen. Ich persönlich finde ausserdem, dass Greta Thunberg ein wünschenswertes Idol für Jugendliche ist. Sicherlich ist sie das für viele aus meiner Klasse noch nicht, aber sie bleibt dennoch eine mögliche Identifikationsfigur, allein schon, weil sie das gleiche Alter hat. Für mich war es durch die Einladung ins Klassenzimmer interessant zu sehen, wer sie denn gut findet oder nicht, oder vielleicht anders formuliert: wer eine Meinung zu ihr hat. Ein Schüler fand beispielsweise, dass sie zu wenig Respekt vor Staatsmännern zeigt und hat sich auf Gespräche zwischen ihr und Emmanuel Macron bezogen. Das hat mich überrascht, denn es zeigt vor allem ihren Mut und ihren Idealismus. Zudem finde ich, dass in der Regel Macron derjenige ist, der anfängt die unangebrachten Spässchen zu machen.
Q: Haben Sie als Schüler gestreikt?
A: Nein, weder mit der Schule, noch privat. Politisch war aber auch nicht so viel los zu meiner Zeit. Die Umweltbewegung kam in den 80er Jahren auf, aber da war ich im falschen Alter. Zu meiner Streik-Verteidigung muss ich hier zusätzlich ergänzen: Ich komme aus der tiefsten Provinz. Da war die Welt generell in Ordnung [zwinkert] und Streiks haben in der Stadt ohne mich stattgefunden, wenn sie stattgefunden haben.
Q: Greta Thunberg ist Vorbild für viele junge Menschen, die sich für das Klima einsetzen. An welche Vorbilder erinnern Sie sich aus Ihrer Jugend?
A: [lacht] Ja, das waren bei mir eher Bands und Schauspieler*innen, Hip-Hop kam zu meiner Jugendzeit auf, zum Beispiel die Fantastischen Vier fand ich super. Ich war auch grosser Tom Cruise Fan. Politisch hat mir, wie ganz vielen anderen, Che Guevara und Gandhi noch recht imponiert zu der Zeit.
«Greta fand ich eine tolle und praktische Art auf alltagsfernere Themen aufmerksam zu machen. Während meiner Schulzeit haben sich solche Türen nicht geöffnet.»
Q: Reden Sie mit Ihren Schüler*innen viel über die Streikoption Klimastreik?
A: Ich versuche immer wieder, natürlich auch mit einem Stück wie Greta, darauf aufmerksam zu machen. Leider scheint die Begeisterung dafür hauptsächlich bei Gymnasiast*innen zu liegen. Häufig hör ich beispielsweise: «Dann verpass ich doch die Schule» oder «ich will hier etwas lernen und nicht zu einem Streik gehen». Als Lehrer stehe ich da zwischen den Stühlen, denn ich kann schlecht sagen: «Doch, geht.» Aber ich mache schon deutlich, dass, wenn sie gehen wollen, es Wege und Möglichkeiten gibt, das zu organisieren, ohne dass ihnen Ärger droht. Ich denke, dass hier der familiäre und soziale Hintergrund der Schüler*in eine wichtige Rolle spielt. Viele meiner Schüler*innen beantworten die Frage, «Ist es für mich wichtig, zum Klimastreik zu gehen?», mit einem klaren «Nein». Greta fand ich eine tolle und praktische Art auf alltagsfernere Themen aufmerksam zu machen. Während meiner Schulzeit haben sich solche Türen nicht geöffnet. Einmal war das SRF in meiner Schule, da kann ich mich noch dran erinnern. Sie haben einzelne von uns gefragt, was wir vom Föderalismus halten. Ansonsten haben wir politische Bildung eher nach Lehrbuch erfahren: Das Dorf XY will einen Skilift bauen. Die einen sind dagegen, die anderen dafür. Was machen wir also? So wurden wir zum Diskutieren animiert.
Nun stellt sich die Frage: was nehmen Sie aus 45 Minuten Greta im Schulzimmer für sich und Ihre Schüler*innen mit?
Das Stück Greta hat mir sehr gut gefallen. Die drei Schauspieler*innen konnten die Schüler und Schülerinnen in ihren Bann ziehen und boten eine Lektion Unterhaltung pur. Sofort sprang der Funke über und es war interessant die unterschiedlichen Reaktionen der Schüler*innen abzulesen. Da die Schauspieler*innen ebenfalls jung sind, ist das Stück für die Jugendlichen authentisch und greifbar. Ich denke einige, mich inklusive, wären gerne danach direkt mit zum Streik gegangen. Insbesondere als die Parolen skandiert wurden, die ich schon in Bern bei der Klimademo mitgesungen habe. Der Diskurs im Stück zeigt auf, dass die dargestellten jungen Demonstrant*innen sich nicht immer einig sind und mit ganz normalen Widersprüchen zu kämpfen haben, die wir alle kennen. Das am Schluss alles gut kommt und man sich wiederfindet, rundet das Stück klassisch ab. Eine Schülerin war vom Inhalt so überzeugt und brachte mich mit folgender Aussage zum Schmunzeln, als sie sagte, sie hätte gar nicht gewusst, dass Greta heute in Zürich ist. Ob nun mehr Jugendliche sich des Klimawandels bewusst sind - ich denke schon. Ob sie häufiger Demonstrieren gehen - ich denke leider nicht.
Evaluation des Schauspielhaus Zürich
Q: Was wird Ihr nächster Theaterbesuch mit Ihrer Klasse im Schauspielhaus Zürich?
A: Sobald man wieder besser planen kann, komme ich gerne wieder. Der Besuch der alten Dame würde mich interessieren. Idealerweise kombiniere ich den Besuch mit einem Workshop für die Klasse, der ihnen das Stück näherbringt. Mir ist immer wichtig, dass ich den zeitlichen Mehraufwand, den ein Theaterbesuch mit der Schule am Abend mit sich bringt, gut in einen grösseren Rahmen einbetten kann. Theater sollte ein Erlebnis sein, das über das reine Schauen hinausgeht. Toll finde ich, wenn man zum Beispiel mit Bühnenbildner*innen oder vielleicht sogar Schauspieler*innen ins Gespräch kommt. Am Ende hängt das Machen oder Sein-Lassen eines Theaterbesuchs aber einfach viel vom Zeitmanagement ab. Abends, ausserhalb der Schule, sind viele Schüler*innen schwer zu motivieren oder sie sind familiär auch unterschiedlichst eingebunden. Morgens, mit Anfahrt und Rückfahrt etc. ist ein Vormittag vorbei und dir fehlen eventuell Lektionen. Greta war für mich und meine Bedürfnisse daher sehr gut – mehr Klassenzimmerstücke bitte.
Q: An welchen Theaterbesuch können Sie sich als Schüler*in erinnern und warum?
A: Ich kann mich noch an die Theatergruppe Bilitz erinnern, die sind immer in die Schule gekommen. Da bin ich wieder beim Thema: Ein Stück in die Klasse holen. In der 10. Klasse habe ich dann selbst angefangen an der Schule Theater zu spielen - Die Physiker. In die Stadt gefahren, um abends zusammen ein Stück zu schauen, das haben wir aber nie gemacht.
Q: Was wünschen Sie sich von uns?
A: Sehr gut, ich hol grade mal schnell meine Liste raus [lacht]. Nein, also abends, da habt ihr ein tolles Programm, das aber inhaltlich schon auch anspruchsvoll ist. Bei vielen Stücken habe ich das Gefühl, dass ich das mit meiner Klasse nicht schauen könnte. Daher würde ich mir noch mehr Stücke für 13- oder 14-Jährige wünschen. Persönlich finde ich, dass eure Inszenierungen wirklich sehr modern sind und das Bühnenbild experimentell. Dinge, die man inhaltlich und visuell erst einmal selbst verstehen muss und insbesondere muss man es dann Schüler*innen erklären – was soll ich sagen, ich bin eben ein Junge vom Land und freu mich auch noch sehr über klassische Stücke, alte Kostüme, Bühnenbilder, die etwas Reales abbilden. Wenn man hier bei den Einführungen z.B. nicht nur inhaltlich etwas erklären würde, sondern auch das Bühnenbild und die Kostüme, das fände ich sehr toll. Mit der Schulklasse etwas theatralisch erarbeiten, fände ich auch super. Und danach das Stück schauen.
Q: All das versuchen wir in der Regel anzubieten.
A: Ja, also [schmunzelt]. Ich denke, ihr macht da schon recht viel richtig. Nur wissen noch zu wenige davon, habe ich das Gefühl. Vielleicht wäre ein Tipp, dass man auf der Webseite unter jedem Stück die Schulangebote direkt anklicken könnte. Oder klarer wäre, dass auf dem Intranet nicht automatisch das ganze Angebot von euch ersichtlich sein kann. Jeder Klick ist doch heute schon ein Aufwand [scherzt].