Life in plastic, it’s fantastic
by Laura Leupi
published on 29. October 2019
Ein Erfahrungsbericht über die Premiere von Früchte des Zorns.
Ein auffallend junges Publikum steht heute Abend vor dem Pfauen rum, lachend und rauchend. Wir quetschen uns in die hinterste Reihe und kommen mit den Sitznachbarinnen in Gespräch, als schon die bunten Markenfetischisten der Guccigang vor dem eisernen Vorhang mit ihrer Show beginnen. Auf in den Zirkus Kapitalismus: Babababababa! Um mich herum summt es verlegen mit, Lachen auf beiden Seiten der Rampe.
Aber das ist der Guccigang egal. Denen ist sowieso alles egal. Denen gehört die Welt. Keine besonders schöne Welt, die John Steinbeck in seinem Epos der amerikanischen 30er Jahrenbeschreibt und Christopher Rüping auf die Bühne holt: Naturkatastrophen, Armut, Wirtschaftskrise, Profit, Xenophobie, Flucht. Kommt mir bekannt vor, make america great again. Die Früchte des Kapitalismus schlagen die Farmerfamilie Joad in Form von Dürre und einem «Monster» aus Profitgier in die Flucht nach Kalifornien. Bei Rüping ist die Grossfamilie auf drei graue Gestalten geschrumpft: Tom (Nils Kahnwald), gerade aus dem Gefängnis entlassen. Die hochschwangere Rose (Nadège Kanku), in ihrer Hoffnung auf Wohlstand vor den Verheissungen des Kapitalismus nicht gefeit. Und «das Bollwerk der Familie», Ma Joad (Maja Beckmann). Der Vater ist konsequenterweise gestrichen: In einer Welt, in der Männlichkeit durch Stärke und Ernährer-Sein definiert wird, bricht das Selbstverständnis des Vaters zusammen. Die Mutter musses richten. Doch ihre verzweifelten Schreie verhallen ungehört. Die Joads haben keine Stimme, keine Wahl- und Bewegungsfreiheit: Das sind die Privilegien der Reichen. Die Guccigang (Wiebke Mollenhauer, Steven Sowah, Benjamin Lillie, Kotoe Karasawa und Gottfried Breitfuss) schiebt die Joads über die Bühne, schlüpfen nach Belieben aus ihren Rollen und ins Publikum. Vor allem haben sie Spass: Die Dinge leicht zu nehmen ist das grösste Privileg. Tom hingegen kann nicht mal den Aufstand selbständig planen, es ist die Guccigang, die ihm entgegenbrüllt: «Wehr dich!»
Den Joads wird ihre Geschichte erzählt, zwischen gleissendem Flutlicht und knalligen Popsongs: Hello from the other side. Kalifornien, das gelobte Land, ein aufblasbarer Baum mit Plastikorangen: Alles fake, alles Fassade. Nur eine Stecknadel, und die Kulisse würde platzen wie die Blasen an der Börse, wie die Träume der Joads vom besseren Leben. Ich sitze auf meinem bequemen Stuhl, klatsche irgendwann brav mit. Schon klar: Die Guccigang, das sind wir. Wir, die am 1. Mai Parolen schreien und dann nach Hause fahren um den Insta-Feed zu füttern. #guccigang: 1.4 Millionen Posts auf Instagram. Von der Bühne hallt es: «What do you see in them? I see the beauty in them. The possibilities.» Hier gibt es keine Solidarität, keine Hoffnung, trotz biblischer Sprache. Steinbecks Versuch einer politischen Gegenkultur, das Weedpatchcamp im Roman, fehlt. Dass Gottfried Breitfuss irgendwann vom Gucci-Member zum abgehalfterten Familienalkoholiker wird, ist konsequent: Abstieg geht immer, Aufstieg nie – neoliberale Scheisse eben.
Erst gegen Ende lösen sich die Spielformen auf. Tom wählt den eingeflüsterten Weg des Widerstands, zurück bleiben nur Kleider und Schuhe. Ma Joad schreit sich dem Publikum ins Mark: «Haut ab!» Man möchte mitfühlen, doch das lässt diese Inszenierung nicht zu. Verfremdung, Distanz, Brüche. Keine Sozialromantik, keine Mitleidskultur. Keine Identifikation. Wie kommen wir da bloss raus? Rose versucht es. Sie hält dem alternativen Ende mit Inkarnationsblabla ihre, die Steinbecksche, Version entgegen: Nach der Totgeburt gibt sie einem verhungernden Mann die Brust in einer verdrehten Pietà-Figur «und lächelt geheimnisvoll». Black. Die bei Steinbeck schon schwer erträgliche aufopfernde, mystische, fruchtbare Frau als Symbol für Solidarität lässt Rüping so stehen.
Auf die Frage, wie sich Reichtum und Armut für die Bühne übersetzen lassen, hat diese Inszenierung mit einem starken Ensemble und eindringlichen Bildern eine geniale Antwort gefunden. Die einzige Hoffnung: Finde deine Stimme. Nur wie, in dieser #gucciworld?