Pia Zanetti und Lisa-Maria Liner

In Tschechows Möwe treten Junge gegen Alte an: Theaterreformer*innen und Establishment streiten sich um die Deutungshoheit in der Kunst. In seiner Inszenierung nähert sich Christopher Rüping diesem Konflikt aus einer vermittelnden Perspektive und fragt: Warum ist unser Blick auf die andere Generation so hart, so kalt? Auch wir möchten bei der generationenübergreifenden Annäherung helfen und laden im Rahmen des Formats +-30 zu einem Blind Date mit einer Zuschauer*in ein, die mindestens 30 Jahre jünger oder älter ist. 

Die Premiere von Die Möwe besuchten die Fotoreporterin Pia Zanetti und Lisa-Maria Liner, die Teil des Theaterjahrs vom Schauspielhaus Zürich ist. Im Anschluss an die Vorstellung hat Moritz Frischkorn, der Dramaturg der Inszenierung, den beiden einige Fragen gestellt: zu ersten Eindrücken, Identifikationsfiguren und der generationenübergreifenden Begegnung. 


von Moritz Frischkorn
erschienen am 28. Dezember 2023

Moritz Frischkorn: Was ist euer erster Eindruck oder das Gefühl, das übrig geblieben ist vom Stück?

Pia Zanetti: Ich bin begeistert. Ich habe es sehr gerne gesehen und vor allem auch gehört. Ich habe ein paar Sachen, die sicher mit dem Alter zu tun haben. Das Licht war brutal. Das Bühnenbild gefällt mir unglaublich gut. Es lässt Raum für Fantasie. Das Licht allerdings ist eine Problematik des Alters. Ich denke viele ältere Leute haben falsche Linsen, korrigierte Augen. Das tut weh.

Lisa-Maria Liner: Man könnte gratis Sonnenbrillen verteilen.

Pia Zanetti: Das Grelle darf sein für den Moment, damit man es versteht. Aber dann würde ich runterfahren.

Lisa-Maria Liner: Ich bin etwas melancholisch aus der Vorstellung rausgekommen. Aber schön melancholisch. Der Mond war so traurig.

Pia Zanetti: Ich habe auch nicht verstanden, wieso die Leute so viel lachen. Ich finde es nicht zum Lachen. Vielleicht zwischendurch zum Schmunzeln. Aber eigentlich ist es eine extrem triste Angelegenheit.

Moritz Frischkorn: Gibt es eine Figur, mit der ihr euch besonders identifiziert?

Lisa-Maria Liner: Am ehesten Nina. Weil sie mir vom Alter her am nächsten ist, und eine Frau. Wen ich allerdings am Tollsten fand, war Medwedenko. Der wäre ich gerne.

Moritz Frischkorn: Wieso wärst du gerne Medwedenko?

Lisa-Maria Liner: Weil er gegen den Strom geht. Und eine Coolness besitzt.

Pia Zanetti: Ich bin selbst Mutter, deswegen identifiziere ich mich mit der Mutter. Aber ich bin eine andere Mutter. Die Rollen von Mutter und Sohn waren mir schon sehr nahe, ich habe diese Konflikte in meinem Leben nicht so ausgeprägt erlebt, obwohl ich einen Sohn habe, der ebenfalls Fotograf ist. Wir haben sehr viel Nähe, ich bin begeistert, wenn er Erfolg hat. Aber trotzdem entsteht natürlich eine Identifikation mit der Mutterfigur. Die Schauspieler*innen machen das toll, die Mutter spielt unglaublich. Manchmal hätte es vielleicht ein bisschen leiser sein dürfen. Vielleicht war es gelegentlich etwas zu überdreht, aber das ist eine kleine Kritik.

Moritz Frischkorn: Lisa, welches Thema ist dir geblieben?

Lisa-Maria Liner: Heute war es auch die Liebe, weil wir, bevor wir in den Saal gingen, noch über die Liebe gesprochen haben. Altersunterschiede in der Liebe und solche Dinge…

Moritz Frischkorn: Wollt ihr das teilen?

Pia Zanetti: Wir haben persönlich erzählt. Mein Partner ist 18 Jahre jünger als ich. Ich habe drei Kinder, wie gesagt, einer ist Fotograf. Alle sind „erfolgreich“ und haben ihren Weg gefunden. Ich kann nicht verstehen, dass man sich nicht daran erfreuen kann, wenn es den Kindern gut geht.

Moritz Frischkorn: Ist dieses Theaterstück eher für junge Leute? Für alte Leute? Für Leute dazwischen?

Pia Zanetti: Ich finde, dieses Stück ist für jedes Publikum. Jeder Mensch erlebt solche Geschichten und kann sich identifizieren. Was dazu kommt: So wie die Menschen im Stück möchte man nicht sein. So eine Mutter möchte ich nicht sein. Sie sagt ja auch zwischendurch: „Entschuldigung, ich habe ein schlechtes Gewissen.“ Aber das ist dann auch bald schon wieder weg. Ich finde, das Stück geht für jung und alt.

Lisa-Maria Liner: Das Stück ist für alle. Pia ist Teil der älteren Generation und fand es gut. Ich bin Teil der jüngeren Generation und fand es auch gut. Und die, die das Stück gemacht haben, liegen genau in der Mitte. Alles abgedeckt!

Pia Zanetti: Mein Partner, als Vertreter der Generation unter mir, war auch begeistert.

Moritz Frischkorn: Hat eure Seherfahrung heute Abend beeinflusst, dass ihr das Stück mit einer Person geschaut habt, die viel jünger oder älter war?

Pia Zanetti: Nicht direkt beeinflusst, aber eine Sympathie ist direkt präsent gewesen. Das Alter war mir eigentlich egal, aber ich habe Lisa gesehen und mich gefreut.

Lisa-Maria Liner: Ich fand es super. Du hast mir in der Pause gesagt: „Du musst einfach Leben.“ Das ist ein guter Ratschlag.

Moritz Frischkorn: Und wenn ihr einander noch eine Frage stellen könntet, welche wäre das?

Pia Zanetti: Du kanntest das Stück natürlich, hast viel gelacht, bestimmt auch, weil du die Proben begleitet hast. Da lacht man, weil man die Leute kennt. Aber, dass das Publikum so viel gelacht hat, das konnte ich nicht verstehen…?

Lisa-Maria Liner: Hat dich das traurig gemacht?

Pia Zanetti: Nicht traurig, aber das Stück ist ernst. Die Trauer, sich nichts zu gönnen, sich gegenseitig den Platz zu nehmen. Das ist doll.

Moritz Frischkorn: Lisa, hast Du eine letzte Frage an Pia?

Lisa-Maria Liner: Gehen wir noch einmal ein Stück zusammen schauen?