Fayrouz Gabriel:
Hier kann ich atmen

In Hinblick auf die Premiere von Bullestress wirft Enno Rennenkampff mit dieser Interviewreihe ein Licht darauf, was es bedeutet Theater und Kunst zu den Themen Rassismus und Polizeigewalt zu machen und an einer solchen Produktion beteiligt zu sein. Enno ist Teil des Theaterjahres am Schauspielhaus Zürich, spielt selber Theater im Theaterkollektiv Spotless aus Bern und schreibt nebenbei Texte zu Gender, Ängsten und der eigenen Identität.

Das Stück Bullestress, geschrieben von Fatima Moumoni und Laurin Buser, verhandelt wie fünf junge Freund*innen, die durch ihre Leidenschaft zur Musik verbunden sind, mit einem Vorfall rassistischer Polizeigewalt in ihrem Freundeskreis umgehen. Fayrouz Gabriel, gelernte Fachfrau Gesundheit, spielt die Rolle von Astro und hat bereits in Workshops oder Theaterlager geschauspielert und steht nun zum ersten Mal auf der Bühne des Schauspielhaus Zürich.


von Enno Rennenkampff
erschienen am 12. Januar 2022

Enno Rennenkampff: Ihr seid jetzt in den Endproben des Stückes. Was hast du gedacht, als du den Text zum ersten Mal gelesen hast?

Fayrouz Gabriel: Ehrlich gesagt nicht viel. Das erste Mal sassen wir zusammen am Tisch, bekamen das Skript und haben es gemeinsam durchgelesen. Ich habe dabei eher auf die Rollen geachtet und nicht so sehr darauf, was gesagt wird. Erst als wir es zum dritten, vierten Mal durchgelesen hatten, habe ich langsam gecheckt, okay, es geht um das und das. Deswegen machen wir auch Workshops, man lernt sich besser kennen und baut einen Safe Space auf.

ER: Was habt ihr bisher für Workshops gemacht?

FG: Im ersten Workshop ging es darum, ob wir schon Erlebnisse hatten mit Rassismus und wie wir uns posititonieren, als Schwarz oder weiss. Danach haben wir uns auch aufgeteilt in PoC (People of Colour) und die weiss Positionierenden und haben in getrennten Gruppen darüber gesprochen. Wir konnten viel von unserer Vergangenheit reden, die anderen Menschen hören dir einfach zu.

ER: Hast du solche Workshops davor schon gemacht?

FG: Nein, es war komisch. Ich wusste gar nicht, wie ich zu Rassismus stehe. Also versteh mich nicht falsch, ich hatte Erlebnisse in meiner Vergangenheit, aber sie haben mich nie beschäftigt. Ich dachte immer: Es ist traurig, aber es ist halt so, was willst du machen? Seit diesem Workshop denke ich anders darüber, es macht was mit einem. Ich habe es einfach verdrängt oder ignoriert. Es hat mir Angst gemacht, aber es tut auch gut, solche Erfahrungen zu teilen.

ER: Du konntest also schon einiges lernen in dieser Probenzeit?

FG: Ja! Ich habe auch gelesen und Videos geschaut auf YouTube. Es ist einfach ein so schweres Thema. Sehr schwer und traurig, sehr traurig.

ER: Und gibt es Momente bei den Proben, die dir geblieben sind?

FG: Dass ich einfach ich sein kann. In der Pflege musste ich mich oft verstellen, professionell sein. Hier kann ich einfach kommen wie ich bin, wie ich mich grad fühle und ich kann mit Menschen darüber reden. Und dadurch, dass wir einen Safe Space aufgebaut haben im Workshop, fühlt es sich immer so an, dass ich in eine Bubble gehe, sobald ich die Probebühne betrete. Man ist verbunden und es stellt sich ein Wohlbefinden ein. Es ist streng, aber das mag ich auch, dann geht es voran und man sieht die Ergebnisse. Wir haben viel gelacht zusammen, sehr viel, und wir haben uns extrem viel Zeit genommen am Anfang. Wir hatten echt drei Wochen Zeit, uns wirklich kennenzulernen.

ER: Du sagst, dass du du selbst sein kannst. Eigentlich gehst du ja ins Theater, um eine Rolle zu spielen, also um nicht mehr (nur) du selbst zu sein.

FG: Ja, stimmt. Aber ich gehe nicht rein und muss einfach funktionieren. In der Pflege musst du funktionieren. Bei den Proben hast du Platz, du kannst atmen, es ist nicht eng. Ich freue mich eigentlich auch in die Rolle zu schlüpfen, weil ich dann die Realität gar nicht so richtig wahrnehme, dann bist ich richtig drin.

ER: Im Stück spielst du ja Astro. Als du den Text gelesen hast und wusstest: «Okay, das muss ich spielen», wie war das dann für dich?

FG: Aufregend. Ich habe mich extrem gefreut, denn die Figur zeigt viel Gelassenheit und gleichzeitig auch so eine Lebensfreude, die mich, wenn ich die Rolle spiele, dann auch ansteckt. Ja, so fühlt es sich an.

ER: Also hast du das Gefühl, du kannst auch etwas von deiner Figur in dein Privatleben mitnehmen?

FG: Ich habe noch nie so eine Figur gespielt. Es ist schwer zu beschreiben. Astro ist so: «Hey, ich bin motiviert, ich will den Sound machen, wir müssen es schaffen und zwar als Crew.» Und sie zeigt so viel Liebe. Sorry, Astro ist non-binär, ich muss mich korrigieren: Astro zeigt so viel Liebe, für eine Gruppe, die eigentlich nur aus fünf Leuten besteht. Musik, Freundschaft … das ist der Mittelpunkt und ich finde das super!

ER: Findest du, dass sich das im Stück verändert? Also diese Einstellung zu der Musik, zur Freundschaft?

FG: Ja, es verändert die ganze Crew. Es kommt ein Problem von ausserhalb und dieses Problem wird wie Schimmel. Eigentlich ist es ein «gutes» Problem, denn es wird darüber geredet. Es wird angeschaut, man macht was, aber schlussendlich hinterlässt es eine Spur und schlechte Energie. Es ist wie Gift für unsere Freundschaften und für die Musik. Verstehst du, was ich meine?

ER: Ich verstehe es sehr gut. Es ist negativ, es ist Gift, es ist etwas das die Freundschaften zerstört hat. Aber denkst du, dass es das irgendwie auch gebraucht hast?

FG: Unbedingt, ja. Es ist das Gute im Bösen oder das Böse im Guten. Es hat's unbedingt gebraucht, weil über so Themen sollte man auch mit Freunden reden, finde ich. Du bist nicht alleine, wir gehen dieses Thema jetzt zusammen an. Anstatt in die Schule zu gehen, einfach Musik zu machen, kam jeden Tag ein Problem aus der Realität dazu, obwohl wir nicht in der Realität sein wollen in diesem Studio. Das ist dann wie eine Welle. Das wird dann einfach zu viel. Jeden Tag etwas mehr.

ER: Ihr befindet euch eigentlich wieder in einer Bubble in diesem Studio, die zu platzen beginnt.

FG: Ja, genau.

ER: Du hast vorhin auch diese Bubble erwähnt, als du von den Proben gesprochen hast. Ihr habt einen Safe Space für euch gebildet und könnt euch jetzt in diesem weiterentwickeln. Doch irgendwann werdet ihr ja das Stück auf die Bühne bringen und dem Publikum präsentieren. Hast du Angst davor, dass diese Bubble platzt, wenn so viele von aussen reinkommen?

FG: Nein. Vielleicht eher, wenn es zu Ende geht. Ich glaube, am Anfang schmelzen wir noch mehr zusammen! Wenn die Nervosität kommt will man nicht allein sein. Wir sind ja eigentlich auch eine Crew in der Produktion und das kann man verbinden. So schaffen wir das.

ER: Und wenn du jetzt ans Publikum denkst. Welche Menschen, wünschst du dir im Publikum?

FG: Ich wünsch mir oder besser gesagt, ich hoffe, dass viele Menschen kommen, die früher Rassismus erlebt haben, auch Polizeigewalt erlebt haben. Am besten haben sie aber gar keine Erwartung. Sie kommen rein, öffnen sich und lassen es zu. Ich denke, so kommt es am besten. Ich hoffe, dass auch Polizisten im Publikum sind. Unbedingt! Das wäre echt cool! Und Jugendliche, so ab 16, aber auch die Eltern. Am besten einfach ein bisschen von allen.

ER: Gibt es noch etwas, was du sagen möchtest, das dir wichtig ist?

FG: Ja. Ich habe am meisten durch Astros non-Binarität gelernt. Ich habe, ich muss ehrlich sein, niemanden in meinem Freundeskreis, die non-binär ist oder wie sagt man? Ich kenne keine Person, die non-binär ist. Als ich Pauline kennenglernt habe, hat Pauline mir ein Buch gegeben und ich konnte viel darüber lesen.Ich finde es sehr wichtig, das zu respektieren. Weisst du, was ich meine? Weils einfach dazugehört. Ja, das wollte ich noch sagen.