Love and Anger
von Lara Russi
erschienen am 30. Juni 2020
Porca Miseria – zu Deutsch etwa: Verdammt noch mal! – Willkommen im körpergewordenen Bermudadreieck von Geschlecht, Herz und Kopf:
Maggie, Medea und Katherine Dunham sind gleichermassen stark, mutig, sinnlich und eigenwillig und zeigen offen ihre verletzlichen Seiten. Sie haben zu unterschiedlichen Zeiten gelebt, ihre sozialen Milieus sind divers. Maggie und Medea sind Protagonistinnen aus der Literatur- beziehungsweise Mythologiegeschichte und entfalten ihre Wirkkraft bis in die Gegenwart. Katherine Dunham hat als Choreographin, Anthropologin und Bürgerrechtsaktivistin ein Stück amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts mitgeprägt.
Lassen wir die drei Bitches* ins Scheinwerferlicht treten, um ihren Blickrichtungen zu folgen...
*Seit den 1970er Jahren taucht das Label «Bitch» zunehmend auf und verbreitet sich vor allem durch das musikalische Genre des (afroamerikanischen) Hip-Hop, das damals gerade entstand. Die vulgäre Sprache ist provokativ und richtete sich gegen konservative Verhaltensregeln. Aus den jugendlichen (Sub)kulturen kommend, hat sich der Begriff medial verbreitet und ist in den allgemeineren Sprachgebrauch eingewandert.
Zu Deutsch ist eine «Bitch» eine (läufige) Hündin. In einer konservativ-biologisch verstandenen Entwicklungslogik wird das weibliche Geschlecht bei Tierenals dem männlichen untergeordnet angesehen. Deshalb haftet dem Begriff bis heute meist ein negatives Frauenbild an. Hinter dem Begriff «Bitch» steht ein ambivalentes Konzept von Weiblichkeit, das sich irgendwo zwischen zerstörerischer Göttin, Hure und Mutter bewegt. Allerdings ist der Begriff polysem und diese systematische Mehrdeutigkeit eröffnet ein Spektrum für Um- und Neuzuschreibungen – auch genderpolitische. In der Ballroom- und Voguing-Szene, die für Trajal Harrell einen wichtigen Bezugspunkt in seiner Arbeit und seinem künstlerischen Vokabular bildet, wird der Begriff zu einem Ehrentitel – verliehen aus der Gemeinschaft, als expressive Zuschreibung für starke Persönlichkeiten.
Hi, I am Maggie** – I hate this cold, his cold! He is a real Brick!
**Maggie ist eine wichtige, je nach Perspektive, die zentrale Figur aus dem Theaterstück Cat on a Hot Tin Roof von Tennessee Williams. Das Stück wird 1955 in New York uraufgeführt und erzählt die Geschichte einer reichen weissen Farmerfamilie, in deren Schatten die schmutzige Vergangenheit der Baumwollplantagen lauert. In den 50er-Jahren heiratet die Hauptfigur Brick die schöne und verführerische Maggie, die aus ärmeren Verhältnissen stammt. Auch, um im konservativen Umfeld und gegenüber seiner Familie den Schein zu wahren, und seine Homosexualität zu verbergen. Das offene Ausleben derselbigen würde, soviel scheint sicher, seine soziale und familiäre Stellung gefährden. Obwohl er kaltherzig und zum Trinker geworden ist, begehrt Maggie Brick und möchte ein Kind von ihm; dabei geht es ihr ebenso um die Absicherung ihres sozialen Status und dem Platz innerhalb der Familie als auch einem Idealbild von Frau gerecht zu werden, das ohne Kinder erschreckend wenig Wert hat.
Maggie richtet ihren Scheinwerfer auf die (Un)möglichkeit das Begehren zu leben: Ob gleichgeschlechtliche Liebe, Liebe zwischen den Geschlechtern, Elternliebe – sie ist nicht rein, diese Liebe. Durchwirkt von Wünschen und Ansprüchen, wird sie zum Deckmantel, der eigene Unsicherheiten und Verlustängste verstecken soll. Maggie als Mutterideal, welches die sexuelle Liebe mit einer körperlichen Fürsorge vermischt. Ihr Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung drückt sie in der Forderung nach einem männlichen Gegenüber aus, das ihre Liebe spiegelt und sie im gleichen Masse begehrt. Doch dieser Wunsch ist mit Brick als Pendant zum Scheitern verurteilt. Mit allen «Waffen einer Frau» versucht sie ihren unnahbaren Ehemann für sich zu gewinnen. Weil dies nicht gelingt, wendet sie sich schliesslich dessen Vater zu, denn von den anderen Frauen in der Familie ist keine Unterstützung zu erwarten.
Einen weiteren Scheinwerfer auf die spannungsgeladenen, gesellschaftlich angeheizten Problematiken innerhalb einer Gruppe von Menschen, die wir Familie nennen.
Und auf die mehrschichtig und komplexen, zutiefst dunklen Seiten des Familienerbes: Beruht doch ein grosser Teil des wirtschaftlichen Erfolges des amerikanischen Südens auf unbezahlter Arbeit – Sklavenarbeit geleistet von schwarzen Frauen in weissen Grossfamilien und von schwarzen Männern auf Plantagen.
Good evening, my name is Medea***. Baby, I am one of the oldest bitches – let's kill your darlings right now
***Medea ist eine mythologische Frauengestalt aus den Sagen der klassischen Antike. Seither wird sie weitläufig rezipiert und immer wieder neu interpretiert. Die bekannteste Form des Mythos wird allgemein dem griechischen Dramatiker Euripides (480 v. Chr.) zugeschrieben. Es gibt jedoch historisch relevante Quellen wesentlich älteren Datums, was die Überarbeitung, die Rollenverteilung und den Verlauf der erzählten Geschichten angeht.
Medea zählt zu den psychologischen Fallstudien des Euripides, welche von Menschen mit extrem ausgeprägten Affekten und deren Konsequenzen handeln. In weniger reflektierten Quellen wird Medea auf ihre Rolle als betrogene Ehefrau reduziert, die aus Eifersucht und Rache erst ihre Konkurrentin und den abtrünnigen Gatten, danach die beiden gemeinsamen Söhne umbringt. Damit beraubt sie ihn seiner gesellschaftlichen Stellung und seiner biologischen Zukunft. Nach den älteren Überlieferungen ist sie vor allem eine der berühmtesten und gefürchtetsten Zauberinnen des Altertums und die Tochter des Kolchierkönigs Aetes, der das goldene Vlies besitzt. Ihr späterer Ehemann Jason, Anführer der Argonauten, kommt nur durch ihre Hilfe und viele Gewalttaten mit ihrer Unterstützung in eine einflussreiche Stellung und zu Macht. Medeas und Jasons gemeinsamer Weg ist bereits wut- und blutgetränkt, bevor sich ihre Aggressivität gegen ihre eigene Familie richtet. Den Mord an ihren Kindern begründet sie damit, dass sie sich nicht dem Spott ihrer Feinde ausliefern will – ein in der Antike typisch männlich-heroisches Muster der Argumentation.
Medea richtet ihren Scheinwerfer auf den Wert der Vernunft im menschlichen Handlungshorizont: Sie widerspricht als dominante Frau dem klassischen Rollenbild der (Ehe)frau in der Antike und macht ihr Leid öffentlich, handelt eigenständig und übt Rache – in bunter Kleidung und mit offenem Haar. In einem der längsten Monologe des Stückes stehen Medeas mörderische Absichten mit ihren mütterlichen Gefühlen im Widerstreit. Sie erkennt, wie sie sich durch ihre Rache selbst Schmerzen zufügt – trotz ihrer Intellektualität übertrumpft die Leidenschaft die Vernunft.
Und einen Scheinwerfer auf die Schmerzen der Erkenntnis: Sie ist «verrückt vor Liebe» und ermordet metaphorisch gesprochen das von Männern definierte Ideal von Weiblichkeit und Muttersein.
Hello, my name is Katherine****. Fuck, fuck, fuck this rasist system! My anger should be yours!
****Katherine Dunham wird 1909 in Illinois geboren und wächst als Kind einer Mittelschichtfamilie auf. Als eine der ersten schwarzen Frauen studiert sie Tanz und Anthropologie an der Universität von Chicago. Bereits zu dieser Zeit gründet sie dort ihre erste Tanzschule und wird eine Pionierin des afroamerikanischen Tanzes. Mit ihrer akademischen Arbeit bereitet sie die Grundlagen für die karibische und brasilianische Tanzanthropologie. Ihre Doktorarbeit schreibt sie über Riten und Volkstänze in Haiti, und beschreibt Aspekte des haitianischen Voodoo und der jamaikanischen Maroon-Tanzbräuche. Aus ihren umfangreichen Recherchen entwickelt sie eine eigene tänzerische und choreografische Sprache. Dunhams Tänze scheinen oft ekstatisch, sind aber präzise choreografiert. Diese Haltung ist dem Ballett nahe, wo jedes Zucken des Körpers hartes Training voraussetzt. Ihr Stil ist eine Mischung aus modernem Ausdruckstanz, klassischem Ballett, Akrobatik, Pantomime und Schauspiel – meistens barfuss aufgeführt. Dieses neue Bewegungsrepertoire verbindet sie mit der wissenschaftlichen Disziplin der Kulturanthropologie. Durch ihre Arbeit erfährt der Tanz als kulturelles Symbol eine Befreiung und vermehrte Wertschätzung. Bis zu ihrem Tod lebt sie abwechselnd in Haiti und New York. Dort stirbt sie 2006, weitherum als Matriarchin des schwarzen amerikanischen Tanzes anerkannt. Eine Begegnung mit Dunham an ihrem Sterbebett in New York inspirierte Trajal Harrell zu The Deathbed of Katherine Dunham – eine Arbeit, die versucht Antworten zu formulieren auf Fragen, die nie gestellt wurden.
Katherine richtet ihren Scheinwerfer auf die Unterdrückung von Schwarzen im amerikanischen Alltag: In den 1940er Jahren gründet sie eine professionelle Tanzkompanie, die «Negro Dance Group», mit der es ihr gelingt, den afroamerikanischen Tanz als Kunstform zu etablieren und den Weg für nachfolgende Persönlichkeiten wie Alvin Ailey zu ebnen. Später eröffnet sie die Dunham School of Dance and Theatre, in der neben verschiedenen Tanzstilen auch Philosophie und Menschenrechte unterrichtet werden.
Und einen Scheinwerfer auf die kulturellen Tanztraditionen in Jamaika, Trinidad und Martinique. Sie selbst bezeichnete sich wiederholt als «Katalysator, der gegensätzliche Kulturen zusammenbringen will».
...a bitch is a bitch is a bitch
Lesbos and Black Lives Matter, Emanzipation und Unterwanderung des Status Quo: Allen drei gemeinsam ist, dass ihre Auftritte in Texten wie auf der Bühne verführen und geschickt unser eigenes Bild im Spiegel auftauchen lassen. Plötzlich blickt mich eine schwarze Madonna an und es geht nicht mehr um Phallus oder Venus, sondern das Voguing zwischen ihnen, das Atmen aller Tanzenden. Die Welt zeigt uns ihre Kleider und doch sind wir alle nackt im Anfang und am Ende. Kostbare Stoffe knistern zwischen Ihnen und mir.