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ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM

von Werner Schwab

Pfauen/Kammer

Premiere am 6. Mai 2015


Das Wirtshaus ist ein Ort, an dem sie oft sitzen, die Schwab’schen Körpermenschen, die Stammtischler mit ihrer Lust und ihrem Frust, zwischen Würstel, Bier und der Jukebox, die immer die gleichen Schlager leiert. Da wird schwadroniert, geprügelt, getanzt und gefressen. Da gibt es keinen „Friedfertigkeitsschleimkopf“, da legt man auf den Tisch, was auf den Tisch gehört, da sagt man, was gesagt gehört. Ob es der philosophierende Pädagoge Jürgen ist, der heimlich mit der Kellnerin schläft, der brutale Schläger Karli mit seiner religiös-verzückten Herta oder der reaktionäre Schweindi mit Neigungen für das Kindergeschlecht mit seiner feschen Hasi. Und dazwischen tänzelt die stumpfe Fotzi, die sich durch Herzeigen ihres Unterleibs noch etwas Kleingeld für die Musikbox verdient. Als ein „schönes Paar“ das Schwab’sche Wirtshausuniversum betritt, eskaliert die Situation …


Ein „europäisches Abendmahl“ nannte der Österreicher Werner Schwab sein Wirtshausdrama. Eine schmerzhaft verrenkte Sprache tobt in den Texten, manchmal parodistisch, manchmal expressiv, immer aber auch wahnsinnig komisch – kurz „Schwabisch“ genannt.

„Solange das formidable Ensemble alias trümmliges Trüppchen in Sophia Bodamers Inszenierung unter seinesgleichen bleibt, halten sich die verschiedenen Schrägen in einer erprobten, wenngleich fragilen Balance. Aber in dieser Festhütte ohne Zauber von Prisca Baumann muss ja unbedingt „ein schönes Paar“ aufkreuzen und dem Sextett aus lauter Grenzdebilen qua barer Präsenz versinnbildlichen, wie sehr alle in dieser verschworenen, sich hassliebenden Gemeinschaft von der herbeigesehnten Perfektion entfernt sind. Dieser unbeschreibliche Affront reizt sie natürlich bis aufs Blut. Dass die Reaktion darauf ein entfesselter Blutrausch wird, der die Meute jeglicher zivilisatorischer Grundlage beraubt und sie jäh ins wildeste Urverhalten von fressen oder gefressen werden drängt, wirkt nachgerade zwangsläufig. Einzig Lisa-Katrina Mayer als Herta, der hierarchisch am untersten Ende befindlichen Figur, findet mittels ihrer Zurückhaltung eine neue Perspektive auf den Rest ihrer Umgebung, dessen Launen zu erleiden sie bislang für den eigentlichen Sinn des Lebens hielt, und findet für sich endlich einen Ausweg. Ein Abgesang auf jede Fähigkeit eines Menschen, sich der Gattung entsprechend stets nach dem Noblen, Guten, Richtigen zu richten und diesem hehren Ziel nach eigenen Möglichkeiten alles unterzuordnen. Eine schlagende Fundamentalkritik an Moral, Anstand und der Fähigkeit eines jeden Menschen, sich im aufklärerischen Sinne zu einem zivilisierten Wesen zu entwickeln – natürlich abgesehen von Theorie und Behauptung.“ P.S.

Mit Christian Baumbach, Lukas Holzhausen, Claudius Körber, Dagna Litzenberger Vinet, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Meret Bodamer, Dimitri Stapfer
Regie
Sophia Bodamer
Bühne
Prisca Baumann
Kostüme
Selina Tholl
Video
Julia Bodamer
Licht
Daniel Leuenberger
Dramaturgie
Gwendolyne Melchinger
Regieassistenz
Clara Isabelle Dobbertin

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