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Über Tiere

von Elfriede Jelinek

Schiffbau/Box

Premiere am 22. Februar 2014


„Über Tiere“ basiert auf polizeilichen Abhörprotokollen eines Wiener Callgirl-Rings und ist zu einer gewaltsamen, furchtbar komischen Textfläche geworden: Für die Zürcher Produktion hat Elfriede Jelinek exklusiv einen dritten, Schweiz-spezifischen Teil zu den Themen Prostitution und Menschenhandel verfasst. Regie führte Tina Lanik. Am Schauspielhaus Zürich war von ihr zuletzt „Der ideale Mann“ von Oscar Wilde in der deutschen Fassung von Elfriede Jelinek zu sehen.

„Dem zynischen Liebeswarenhandel schickt Jelinek einen ersten Teil voraus, der das Wesen der wahren Liebe zu verhandeln sucht. Eine Frau spricht zu ihrem jüngeren Liebhaber, „mein sonderbarer Herr“. Dieser erste Teil ist der Monolog einer einsamen Zuwendung, er hat eine beklemmend melancholische Grundierung. Sie führt so weit, dass das sprechende Ich sich nicht nur des ganzen pornografischen Geredes überdrüssig zeigt, sondern auch der eigenen literarischen Methode, es zu verarbeiten freilich nur, um diese gleich noch zu toppen: „ich schäme mich wegen der Inflation des Wortes Kommen und der hohlen Scherze mit dem Wort Kommen, wie immer, ich habe das schon so oft im Mund gehabt wie ein Alter sein Gebiss“. Isabelle Menke – sie wird ja immer besser! – spricht das, im ausladenden Brautkleid über eine Felslandschaft hingebreitet, mit einer lakonischen, hochgradig verletzten Dringlichkeit, die das vielschichtige Textgebirge in allen Tiefen ausleuchtet. Nur schon dieser ersten Dreiviertelstunde wegen lohnt sich der Besuch in der Schiffbau-Box. Aus der Gegenüberstellung der Abhängigkeiten bezieht „Über Tiere“ dann seine moralische Fallhöhe. Den polyfon-perversen zweiten Teil inszeniert Tina Lanik als Groteske, trashig und expressiv, ein Grand-Guignol der Widerwärtigkeit. Wie lemurenhafte Monster robben die drei Darstellerinnen Julia Kreusch, Lisa-Katrina Mayer, Lena Schwarz mit lasziven Bewegungen über den Felsen. Sprach Isabelle Menke gerade noch zögerlich von „lieben“, geht's hier knallhart ums „Ficken“. Es ist der anschaulichste Teil des Abends, in seiner Konkretion auch der zugänglichste, und die punkige Ästhetik, bei der Tina Lanik hier Zuflucht sucht und zu der die stimmgewaltige Live-Musikerin Polly Lapkovskaja nicht wenig beiträgt, hat etwas Entlastendes: als träte die Regisseurin einen Schritt zurück vor der Wut des Jelinekschen Moralisierens. Sie schlägt sich im dritten Teil noch einmal kräftig Bahn. Denn dem raffinierten Doppelklang von Liebes-Monolog und Porno-Polyfonie hat Elfriede Jelinek für das Schauspielhaus einen Zusatz angefügt, der sich wie ein „De profundis“ anhört: die Stimme aus der Verrichtungsbox.“ NZZ


„Die Unmöglichkeit, als Frau in dieser Männersprache vom eigenen Begehren zu sprechen, zeigt Isabelle Menke mit einer grandiosen Einzeldarbietung. Menke setzt an zur Klage gegen den Mann, der ihr weibliches Begehren verkennt. Die nackten Betonwände schlucken ihre Stimme „Und jetzt raten Sie mal, wen ich mit mir als Frau meine?“, fragt sie, und hält uns verzweifelt nicht ihr eigenes, sondern ein leuchtendes Neon-Herz entgegen. Das glitzernde Krönchen auf ihrem Kopf spricht Bände: Beim Versuch, von sich selbst zu sprechen scheitert sie an einer von Männerfantasien infiltrierten Sprache.“ Aargauer Zeitung


„Im Scheinwerferlicht stehen die vier fantastischen Schauspielerinnen eng zusammen, verknäueln sich, umfangen sich, halten sich, tauschen ihre Kleider aus. Den Text sprechen sie teilweise einzeln, teilweise synchron. Vier für eine, eine für vier, ein solidarisches Quartett, diese Frauen, die „für maximal neunzig Tage“ hier sind, „für kurze Zeit gekauft“ werden, und jede von ihnen weiss: „Die Unterlegene bin ich ja auf jeden Fall, auch wenn ich oben liege.“ Der Landbote


„Elfriede Jelinek hat ihr Stück „Über Tiere“ für das Schauspielhaus Zürich ergänzt um einen Text über den neuen „Strichplatz“ in Altstetten. Der Zusatz feierte am Samstag im Zürcher Schiffbau als dritter Teil der fulminanten Premiere seine Uraufführung.“ sda


„Besondere Anstrengungen, die harte Textfläche zu sondieren, unternimmt die Regie nicht, die Schauspielerinnen breiten sie quasi auf die Bühne aus, verknäulen sich ineinander, lösen sich in diesem Bühnenbild auf, verhindern durch die bestens ausgeglichene Artikulation jegliches Auseinanderdriften des Textes und erreichen damit viel. Am meisten freilich in der Schlusssequenz, wenn es dann vor allem um die Macht des Kapitals geht und wenn trotz aller rechnerischer Anstrengung nicht erörtert werden kann, wie die Gabe zu verbuchen ist, auch nicht jenes feuchte Überbleibsel im kleinen Gummischläuchlein. Da hat eine Autorin ein Thema bestens vertextet.“ Vorarlberger Nachrichten

Mit Julia Kreusch, Lisa-Katrina Mayer, Isabelle Menke, Lena Schwarz, Polly Lapkovskaja
Regie
Tina Lanik
Bühne
Stefan Hageneier
Musik
Pollyester
Licht
Gerhard Patzelt
Dramaturgie
Andreas Karlaganis
Regieassistenz
Barbara Falter
Bühnenbildassistenz
Prisca Baumann
Kostümassistenz
Reto Keiser
Souffleuse
Katja Weppler
Inspizienz
Dagmar Renfer
Regiehospitanz
Lea Hegemann
Kostüme
Nana Kolbinger

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