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Rechnitz (Der Würgeengel)

von Elfriede Jelinek

Man will schnell weg von Schloss Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze, die Rote Armee steht vor der Tür, mehrere Schlossgäste hatten sich eben noch eines Massakers schuldig gemacht. Aber die Schlossherrin hat noch eine Adresse im Tessin …

In „Rechnitz (Der Würgeengel)“ haben die Boten das Wort. Sie berichten – mal im Rückblick wie Zeugen, mal live wie bei einer Mauerschau – von einem Massaker und seinen Folgen, geschehen in den letzten Kriegstagen 1945 an der österreichisch-ungarischen Grenze. Die Gräfin Margit von Batthyany hatte auf Schloss Rechnitz die lokalen SS- und Gestapo-Männer zu einem so genannten Gefolgschaftsfest eingeladen. Zeitgleich wurde eine Massenerschiessung beim nahe gelegenen „Kreuzstadel“ vorbereitet. 180 jüdische Zwangsarbeiter, die für die Deportation ins Landesinnere zu entkräftet waren, wurden schliesslich von einer Gruppe Festgäste erschossen. Schon wenige Tage später brannte Schloss Rechnitz und die Gräfin floh vor der Roten Armee mit zwei Begleitern, dem SS-Ortsgruppenführer Podezin und dem Schlossverwalter Oldenburg. Ihr Ziel: die Schweiz, namentlich die Villa Favorita am Luganer See, wo Margits Bruder Heini Thyssen lebte, mit den Nazis Geschäfte machte und Kunst sammelte. Die Boten bleiben zurück und mit ihrem Wissen allein, in Umkehrung von Bunuels Film „Der Würgeengel“, wo es die (Dienst-)Boten sind, die die Herrschaft im Stich lassen.

Elfriede Jelinek lässt in ihrem Stück viele Quellen ineinander fliessen. Es sprechen Zeitzeugen, wie sie in den Rechnitz-Prozessen der Nachkriegsjahre ausgesagt haben; Dorfbewohner und ehemalige Dienstboten, wie sie in dem Dokumentarfilm „Totschweigen“ aussagen bzw. sich ausschweigen; antike Boten, die aus den „Bakchien“ entsprungen sein könnten; ein aufgeklärter deutscher Bote von heute, der über unseren „Sündenstolz“ nachdenkt; schliesslich spricht der „Kannibale von Rotenburg“, ein Menschenfresser von heute. In der Aufführung des Schauspielhauses steht eine Botin stellvertretend für alle. Eine Zofe ohne Herrin? Die Herrin als Zofe?

„Angekommen in einem Industriegebäude mit Kachelwänden, Parkettboden, Klappstühlen (Raum Nadia Schrader), empfängt uns die „Gräfin“ als VIP-Flüchtling, der sich nach und nach aus der Verkleidung (Kostüme Agnes Raganowicz) schält. Hut, Mantel, Frackjacke, Krinoline, Unterrock, Hose — schliesslich steht Isabelle Menke, die grossen Augen dunkel geschminkt, im scharlachroten Abendkleid da. Von verruchten Partyzeiten mit Gleichgesinnten, welche „getrunken haben, was die Wimper hält“ kündet ihre Erscheinung. Das „schwere historische Gepäck“ lagert in einem Holzcontainer. Eineinhalb Stunden lang rekapituliert die Schauspielerin, ohne eine wirkliche „Figur“ in einer „Geschichte“ zu spielen — das gibt es bei Jelinek nie —, Taten und Untaten von anno dazumal, assistiert lediglich von Ton-Recordern. Eine Parforcetour.“ NZZ

„Selten hat man einen Ein-Frau-Abend gesehen, der so schillernd und differenziert ausgearbeitet war wie dieser von Isabelle Menke und dem deutschen Regisseur Leonhard Koppelmann.“ Tages-Anzeiger

„Sie häutet sich wie eine Zwiebel, während sie das Publikum komplizenhaft umgarnt, brillant kalauernd gefangen nimmt, diabolisch, ordinär, irr, grössenwahnsinnig, dann aber wieder ganz nüchtern und selbstverständlich einbezieht in den unbegreiflichen Schrecken, der sich in Rechnitz abgespielt und in der Schweiz überspielt worden ist. Schliesslich steht die grossartige Menke im leuchtend roten Abendkleid und mit gediegener Feder vor uns wie die Gräfin herself, ganz grande dame, die das Erschiessen Wehrloser unglaublich zynisch mit einer Handbewegung als Nichtigkeit abtut. Was wollt ihr eigentlich? Die Gruben waren ja gar nicht so tief, kein Problem, da rein zu fallen.“ sda

Mit Isabelle Menke
Bühne
Nadia Schrader
Kostüme
Agnes Raganowicz
Dramaturgie
Roland Koberg
Regieassistenz
David Koch
Mitarbeit Dramaturgie / Soufflage
Andrea Salzmann
Produktionsleitung
Johanna Grilj
Regie
Leonhard Koppelmann

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